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Published on Mai 18th, 2014 | by Manuel Simbürger

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Conchita Wurst: The Queen is back home

The Queen finally returned.

Und zeigt, dass Mythen nicht immer hinterfragt werden müssen.

Ja, am Sonntag, dem 18. Mai 2014, da war am Wiener Ballhausplatz was los. Ein Tag nach dem Internationalen Tag der Homophobie gab Drag Queen-Ikone und Song Contest-Königin Conchita Wurst ein Gratiskonzert für ihre Fans vorm Bundeskanzlerarmt. Für ihre Fans, für ihre Kollegen, für die Politik, nicht zuletzt für ihre immer noch existierenden Gegner, die sie an diesem späten Nachmittag noch einmal mit bekanntem Wurst-Charme in die Schranken wies. Aber, die Bezeichnung „Drag Queen-Ikone“ wird ihr ja gar nicht gerecht, eigentlich. Ein Phänomen ist sie, die Wurst, ein geschlechtloses und gerade deshalb so sexuell anziehendes Wesen, das mitten und doch gleichzeitig so außerhalb der Gesellschaft steht. Die Wurst will die Welt besser machen, indem sie die Welt erobern möchte.

So viel ist geschehen, seit sie vor wenigen Wochen Österreich verließ und nach Kopenhagen abdüste, um unser Land beim größten Sangesduell der Welt zu vertreten. Die Herzen dort waren bald die ihren, der Sieg war dafür unser. Rosen und Glückwunschkarten von Sir Elton John und Star-Designer Jean Paul Gaultier hat sie in der Zwischenzeit bekommen, genauso wie Perückentipps von Cher und einige, nein gar viele, Einladungen in Late Night Talks (die Königsdisziplin der Talkshows, so quasi) rund um den Globus waren auch dabei. Sogar Lady Gaga soll Interesse an einer Zusammenarbeit gezeigt und Talk-Päpstin Oprah Winfrey sich gemeldet haben. Was davon wirklich wahr ist und was nicht (wie Winfrey zum Beispiel, die aber von Wurst live am Ballhausplatz eine Einladung für einen Talk bekommen hat – von Diva zu Diva halt), ist da eigentlich gar nicht mehr wichtig. Conchita Wurst ist mittlerweile zur (inter)nationalen Liebe geworden. Und wie es auch bei der Liebe so ist, mag man manche Mythen gar nicht so genau hinterfragen, mag man ihnen nicht auf den Grund gehen. Weil die Magie, der Glauben daran ist doch so viel schöner.

Also hinterfragen wir auch bei Wursts Auftritt am Ballhausplatz nicht alles. Wir hinterfragen nicht, dass manche Promis wie angekündigt nicht gekommen sind, weil das der unglaublichen Stimmung im Publikum (an die 10.000 Menschen werden es schon gewesen sein) keinen Abbruch tat. Wir hinterfragen nicht, dass die Fans so viel, so unglaublich viel von ihrem bärtigen Idol haben möchten, die vom plötzlichen Ruhm im Ausmaß von Falco und Stürmer ein bisserl überrollte Sängerin diesen Wunsch aber nicht nachkommen kann, weil es mehr als zwei Original-Songs von ihr einfach noch nicht gibt. Also muss da auch die Kult-Schnulze „My heart will go on“ herhalten, was aber egal ist, denn die Wurst könnte auch einfach nur auf der Bühne stehen und nix tun und die Leute würden auszucken vor Freude. Würden wahrscheinlich genau da auszucken, weil Conchita Wurst eine Bühnenpräsenz hat, die auch den allerletzten Fan irgendwo ganz ganz ganz weit hinten erreicht und in den Bann nimmt. Und wir hinterfragen auch nicht, dass die Wurst zwar Stimme hat, aber ohne umgebende Bühnenkulisse ihren Glanz (noch) nicht vollkommen entfalten kann.

Weil das alles ist doch egal. Weil an diesem Tag, am 18. Mai 2014, eine Königin heimgekehrt ist und das Volk ihr zu Füßen liegt. Eine Königin, die als solche geboren zu sein scheint, die weiß, was die Medien von ihr erwarten, die mit ihnen beinahe in Perfektion spielt und sie so einsetzt, wie es die königliche Hoheit eben wünscht. Wurst strahlt eine zugleich so faszinierend fremde wie vertraute Aura aus (man lasse sich diesen Satz mal auf der Zunge zergehen), dass sie gekonnt auch diesen Nachmittag zwischen ihren Rollen pendelt: sie ist zugleich Botschafterin des Friedens, glamouröse Diva und gute Freundin, und das alles ohne einen Hauch von Anstrengung. Nein, vom Balkon des Bundeskanzleramts möchte sie nicht herunterwinken, meint sie demütig neben Kanzler Faymann, denn das solle dann doch nur den wirklich Großen im Land vorbehalten bleiben. Lieber möchte sie auf die Bühne, direkt zu ihren Fans. Eine taktisch kluge Entscheidung, nach dem medialen Overkill der letzten Tage könnte Wurst leicht in Gefahr kommen, der breiten Bevölkerung überdrüssig zu werden. Also lieber einen Ganz zurückschalten. Und sie weiß, wie weit sie hierzulande gehen darf und wann der konservative Bogen bei vielen überspannt wäre. Die Symbolik hinter der Bedeutung, dem Balkon keine Ehre zu erweisen, ist natürlich noch größer – und noch klüger: Nein, die Wurst, die anders und doch so ist wie Du und Ich, möchte nicht auf ihre Fans, auf die Menschen hinabsehen. Dafür steht sie nicht, die Frau mit Bart, die für Frieden und Toleranz auf der Welt kämpft, immer schon getan hat, von Beginn an, und diesen Kampf nicht der Karriere opfern wird. Geht auch gar nicht: denn dieser Kampf ist ihre Karriere. Oder zumindest ein großer Teil davon.

Da gibt es nämlich noch eine andere Symbolik: Am Heldenplatz neben dem Ballhausplatz verkündete Adolf Hitler 1938 stolz den „Eintritt seiner Heimat ins Deutsche Reich“. Heute, 76 Jahre später, steht hier eine Frau mit Bart, die von tausenden von Menschen, egal ob alt, jung, hetero, homo, Mann oder Frau, bejubelt und verehrt wird, die Homosexuellenrechte auf den Tisch bringt und die es schafft, dass im Publikum die rot-weiß-rote Fahne wie selbstverständlich neben der Regenbogenfahne geschwenkt wird. Sie hat es geschafft, dass ein Jugendlicher, noch keine 18, wie selbstverständlich vor der ORF-Kamera ganz ernst und ohne Pathos von Toleranz spricht und davon, dass es egal ist, wer, wie oder was man ist, wie man aussieht und wen man liebt, denn auf die Person dahinter komme es schließlich an. Und vom Publikum dafür mit tosendem Applaus beschenkt wird.

Deshalb wollen wir den Mythos Conchita Wurst gar nicht näher hinterfragen. Wie es nun genau weitergeht mit der Karriere, wie lang der Hype andauert, ob die Politik auch in ein paar Monaten immer noch so tolerant ist, wie sie es seit dem Song Contest plötzlich ist. Das alles wollen wir an diesem Nachmittag nicht wissen. Wir wollen Conchita einfach nur zujubeln, ihr danken und lauthals mitsingen, wie wir alle wie Phönixe aus der Asche steigen. An diesem Nachmittag wollen wir einfach nur glücklich sein.

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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