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Published on März 19th, 2015 | by Manuel Simbürger

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Das Spiel mit der Lüge und der Wahrheit

Jan Böhmermann spielte in den letzten Tagen Gott – und wird dafür gefeiert. Der Neo Magazin Royale-Moderator ist nicht nur würdiger Nachfolger von Harald Schmidt, sondern vor allem von Legenden wie Hunter S. Thompson oder William S. Burroughs.

 

Jan Böhmermann hat in den letzten Tagen den Medien einen Spiegel vorgehalten – und somit für viel Aufsehen gesorgt. Wie kein anderer führt Böhmermann die eigene Branche vor, zeigt unbarmherzig mit dem Finger (get it?!) auf deren Schwachstellen und verdeutlicht gleichzeitig, wie manipulierbar eine Welt ist, in der unser Denken von möglichst weit verbreiteten Hashtags, dem größten Shitstorm und dem originellsten Post bestimmt wird. Gleichzeitig aber bedient er sich genau diesen medialen Charakteristika, um sich selbst, wie es „Die Welt“ so treffend ausrückt, als „Gott in den Medien-Olymp zu katapultieren“.

Jan Böhmermann, Grimmepreisträger und Moderator des schlauen, kleinen „Neo Magazins“ – laut Böhmermann selbst „eine kleine gebührenfinanzierte Loser-Sow“, laut Kritikern die größte TV-Sternstunde der letzten Jahre – ist der einzige würdige Nachfolger von Harald Schmidt. Schlaue Gags, Selbstironie und vor allem keine Angst davor, sich mit den ganz Großen anzulegen, machen Böhmermann zum Staatsfeind und Staatshelden zugleich. Schon 2014 lieferte er sich mit Pro Sieben-Urgestein und Wettstreit-Monster Stefan Raab einen „David gegen Golitah“-Kampf: Raab präsentierte in der Sendung stolz eine chinesische Variante von „TV Total“, die ganz klar Raabs Ideen klauten: „Blamieren oder Karrieren“ ist da ebenso vertreten wie eine asiatische Elton-Version samt Elton-Anzug. Raab machte Witzchen über den Ideenklau, ließ Elton in einer chinesischen “Blamielen oder Kassielen”-Variante herumkaspern – und wusste nicht so Recht, ob er stolz oder doch verärgert sein sollte, Geld gab’s schließlich seitens der chinesischen Kollegen keines für ihn. Was Raab (und Elton und die Redakteure und ProSieben und das gutgläubige Publikum) nicht ahnten: Die ausländische Version war von Böhmermann selbst produziert worden. Kurz: Alles Fake, sogar der asiatische Moderator war ein deutscher.

Die Sensation war perfekt: Der Freche, Aufstrebende hatte die Achillesferse des großen, ehrfürchtigen, angsteinflößenden TV-Moguls gefunden und ihn dadurch besiegt: Böhmermann appellierte an Raabs Ehrgeiz, Stolz, sein Ego – und brachte ihn somit zu Fall. Fast so, als ob der Hof-Harlekin durch schlaue List den einflussreichen König vom Thron stößt. Wie einfach es nicht war, den unbesiegbaren Raab auszutricksen, betonte damals Böhmermann immer wieder mit seinem typischen Lausbub-Schwiegermama-Liebling-Grinsen. Und führte dem Publikum einmal mehr vor Augen: Die große Zeit von Raab, die Zeit, in der Raab selbst das enfant terrible der deutschen Medienwelt war, ist längst vorbei. Eine neue Generation ist nun am (Eroberungs-)Zug – die Generation Y, die alles infrage stellt, die an bestehenden Institutionen und Grenzen rüttelt und sich mit Tradition nicht zufrieden gibt, sondern lieber eine eigene schafft.

Nun hat’s Böhmermann mit dem bereits berüchtigten „Stinkefinger“-Video vom griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis wieder geschafft, die ganz Großen da oben anzugreifen, vorzuführen und dessen Podeste zum Wackeln zu bringen. Ist das Video nun gefälscht oder nicht, hat Varoufakis Deutschland (das Griechenland immerhin finanziell maßgeblich unterstützt!) den Finger gezeigt oder nicht?! Die Medienwelt war – und ist – in hellster Aufruhr. Günther Jauch, der in seiner Sendung das Video publik machte und den Politiker mit dessen Geste konfrontierte, zeigte einmal mehr, dass es ihm nicht darum geht, Licht ins Dunkle zu bringen, sondern vor allem darum, ein aufsehenerregendes Interview zu führen. Das ist prinzipiell durchaus okay, wäre Jauch nicht eine der mächtigsten Personen im deutschsprachigen Medienbusiness.

Diesmal aber legte Böhmermann noch ein Schäuferl nach und outete sein Fake-Video (in dem er ein Blick hinter die Kulissen gewährt und zeigt, wie er das Varoufakis-Video mit Experten fälschte) als Fake-Fake-Video. Nein, das Stinkefinger-Video sei tatsächlich doch echt, doch kein Fake, vielmehrsei der Fake der Fake. Böhmermann bewegt sich dabei auf einer faszinierenden Metabene, die sogar die hauseigenen Chefs überfordert:  „Wir sehen uns gezwungen, das Neo Magazin Royale zukünftig als Satiresendung zu kennzeichnen“, so der ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler kleinlaut, als das Fake-Video als Fake-Video enttarnt wurde. Himmler enttarnt dabei eine weitere menschliche Schwäche: Was wir nicht verstehen, muss gewaltsam in eine Kategorie gedrängt werden.

Böhmermanns Sieg über Jauch (die Huffington Post Deutschland fordert gar, Jauch zu feuern und Böhmermann auf dessen Sendeplatz zu hieven) zieht aber viel weitreichendere Kreise: Drastisch wie nie zuvor verdeutlicht Böhmermann, wie wenig vertrauenswürdig Journalismus im Grunde ist, wie naiv sowohl Medienmacher (Medienprofis!) als auch Medien-Rezipienten sind und – einmal mehr – wie leicht sich Manipulationen in unsere so sehr aufgeklärte Welt einschleichen können, diese Welt sogar bestimmen. Denn, seien wir uns ehrlich – Im Grunde ist der Fake-Fake keine Überraschung:  Varoufakis selbst hat vor einigen Tagen das Youtube-Video getweetet, in dem man deutlich den Stinkefinger sehen kann. Der Organisator des kroatischen Festivals, auf dem Varoufakis gesprochen hat, hat ebenfalls betont, das Alles sei „aus dem Zusammenhang gerissen“ —aber nicht, dass das Video manipuliert worden sei. Was er ja ziemlich leicht hätte feststellen können, indem er das Original noch mal anschaut …

Sowohl Jauch (samt Redaktion) als auch wir Zuseher müssen nun mit Scham eingestehen, wie leicht wir uns auf die Seite der Mehrheit stellen, wie schnell wir bereit sind, unsere Meinung zu ändern – und wie sehr es uns an festen Grundwerten und Glaubenssätzen fehlt. Sogar ein kleiner Sieg gegenüber Trash-Ikone Kim Kardashian gelang Böhmermann: Anders als die Kanye West-Gattin mit ihrem Pferdearsch-Bild brachte der Moderator Twitter mit dem Hashtag #varoufake beinahe zum Erliegen.

Das Gros der Medienwelt verneigt sich nun vor Böhmermann, hält ihn für die vielversprechendste Nachwuchshoffnung und für jenes Talent, welches die TV-Berichterstattung auf ein neues Level hieven könnte – aber es gibt auch Gegenstimmen, die sich (na no na ned) von Böhmermann auf die Zehen getreten fühlen und ihm vorwerfen, eine auf Fakten basierende Berichterstattung zu erschweren, ja gar zu verhindern. Die Wahrheit liegt vielleicht, wie so oft, irgendwo dazwischen. Spannend auf jeden Fall die Frage, wie eine TV-Landschaft, in der Böhmermann das Sagen hätte, aussehen würde: Ein faszinierender Mix aus Gonzo-, Guerilla- und Beat Generation-Journalismus nach dem Vorbild von Hunter S. Thompson oder William S. Burroughs wäre auf dem Vormarsch, die Rolle des „kleinen Mannes“ würde noch stärker als bisher forciert werden. Sicher, es würde Chaos herrschen, Anarchie vielleicht sogar – aber gleichzeitig auch der Drang, Fakten, scheinbare Beweise solange zu hinterfragen, bis sie nicht mehr widerlegt werden können. Die Gesellschaft würde zum eigenständigen Denken und zur Selbstreflexion angeregt werden. Das Spiel mit der Lüge und der Wahrheit würde zur journalistischen Grundregel werden. Schon jetzt wird unter YouTube-Usern diskutiert, ob der  “Stern“ in der Varoufakis-Causa nun lügt, es einfach nicht kapiert oder doch die Wahrheit sagt.

Spätestens jetzt muss ich aber zugeben: Dieser Artikel, der wurde von Jan Böhmermann in Auftrag gegeben. Wurde finanziell abgegolten.

Oder doch nicht?

Liebe Leser, Sie müssen jetzt ganz, ganz stark sein.

 

 

 Credit Vorschaubild: Screenshot YouTube

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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