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Published on Mai 10th, 2014 | by Manuel Simbürger

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Der Tag, an dem ich den Pornostar traf

Plötzlich stand er da. Nicht direkt vor mir, eher so weiter weg, umjubelt von hunderten (biblisch gesprochen…was in diesem Kontext irgendwie lustig ist) halbnackten Typen, die gebannt auf das Plateau blicken, auf dem er steht. Irgendwie wirkt er tatsächlich etwas wie Jesus – nd all die partywütigen, sexhungrigen und irgendwo zwischen Faszination und Was-tu-ich-hier pendelnden schwulen Männer sind seine Jünger. Während Jesus allerdings noch Brot brach und Blinde heilte, ist Francois Sagat zufrieden damit, halbnackt zu tanzen, zu posieren und verführerische Blicke ins Publikum zu werfen. Angehimmelt und angebetet wird er trotzdem – oder gerade deswegen. Denn Sagat ist der Messias der modernen Gay-Community.

Der Pornostar, der die Heteronormativität dekonstruierte

Sagat, der drehte – bis 2012 – nicht nur (durchaus abwechslungsreiche und kreative) Pornos, sondern ist in der europaweiten Kunstszene ein kulturelles Phänomen, das nur wenige erklären können. Während Kollegen wie James Deen oder Sasha Grey immer recht verkrampft in der jüngeren Vergangenheit versuchten, im Mainstream Fuß zu fassen (und deshalb auch die arme Lindsay Lohan herhalten musste, die aber eh nicht mehr viel mitkriegt heutzutage), hat sich Sagat sehr schnell und beinahe mühelos eine Karriere abseits der schmuddeligen Porno-Szene aufgebaut. Als Model, als Mini-Kunstfilm-Darsteller und Regisseur, neuerdings auch als Schauspieler. Kult-Designer wie Thierry Mugler oder Starfotograf Terry Richardson reißen sich um ihn, um dieses lebende Kunstwerk, das Sagat nicht zuletzt wegen seinem prägnanten (und sehr sexy) Schädeltattoo darstellt. In seinen Werken, allen voran als Model, durchbricht Sagat die Grenzen der Zweigeschlechtlichkeit und der Heteronormativität – und bleibt dabei immer so verdammt sexy mit seiner Mischung aus arabischem Aussehen und französischer Arroganz, dass einem beinahe schwindelig wird. „Ich bin ein kleines Mädchen“, wird Sagat, der Muskelprotz und Prototyp des Manns-Mann, mir im Interview sagen. Mit einem verschmitzten Lächeln, aber deshalb nicht weniger ernst gemeint. Nichts regt ihn mehr auf, als in selbst (oder eigentlich von der Gesellschaft) auferlegten Kategorien zu denken. In einem seiner früheren Interviews gab er zu, dass sein Körper gar nicht immer sein eigener zu sein scheint. Und tatsächlich: Schaut man sich die Fotos mit Sagat als Model an, fällt einem sofort die unglaubliche Wandlungsfähigkeit, das vollkommen einverleibte Loslösen jeder gesellschaftlichen Grenzen auf, die Sagat lebt und verkörpert wie kein anderer es zurzeit tut. Er ist der arabische Macho mit SM-Harness genauso wie die Diva im Designer-Ballrobenkleid oder der süße Junge mit den rosa Plüschpantoffeln.

Zweisamkeit

Im intimen Gespräch mit mir (was ich an dieser Stelle einfach betonen muss, weil sich genau in diesen Zeilen all meine Wünsche zu erfüllen scheinen) sagt er ganz kluge Sätze über Themen wie Stereotypen, Männlichkeit, die Gay Szene und über den Fluch und Segen zugleich, immer nur über seinen Körper definiert zu werden. Auch wenn er so scheinbar simple Dinge sagt wie „Ein Mann ist ein Tier. Wir alle sind Tiere“, klingt das so tiefgründig wie von einem modernen Philosophen (hier spricht wahrscheinliche meine rosarote Brille, aber egal), der halt nebenbei auch noch mit einem gottesgleichen Körper gesegnet ist. Es scheint bei jeder Antwort mehr in seinem tätowierten Kopf vorzugehen, als er tatsächlich ausspricht. Er lächelt viel öfters als auf seinen Fotos (und seinen Filmchen) und gibt sich erstaunlich offen und ehrlich. Weil: Darf man ihn über Sex und Pornos befragen – denn wäre das nicht wieder zu Klischee-mäßig und auf’glegt?

Und während man noch überlegt, wie man ihn charmant und unauffällig über seine persönlichen sexuellen Vorlieben befragen könnte, erzählt er auch schon frei von der Leber weg, dass er privat eigentlich ein ganz normaler Typ mit ganz normalen Sexleben sei, dass er Bondage und so’n Kram gar nicht mag, dafür aber sehr gerne küsst, weil er halt schon ein romantischer Bursche sei (und an dieser Stelle fällt es sehr schwer, nicht einfach dahin zu schmelzen).

Das lebende Kunstwerk

Natürlich, er ist stolz auf seinen Körper und auf seinen Status als Sexsymbol. Grinst er, mit nacktem Oberkörper und ultrakurzem Höschen, das auch wirklich alle Konturen abzeichnet und es einem nicht gerade leichter macht, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Und sofort schäme ich mich. Weil auch ich mich von Sagats imposanter Erscheinung blenden lasse und das Bild des mysteriösen Machos aus diversen Filmchen nicht aus dem Kopf bekomme. Er sei „ein Gefangener seines Körpers“, hat er ganz gescheit mal in einem Interview gesagt. Ich muss daran denken und sofort tut es mir leid, dass auch meine Blicke immer wieder an seinem Körper entlang schweifen (aber hey, ich hab mich echt bemüht, ehrlich!). Also gehen meine Augen sofort wieder nach oben und blicken in seine Augen. Und da erkenne ich, plötzlich, eine Güte, eine Tiefgründigkeit, eine Herzlichkeit, die man dieser muscle vision eines Mannes, der so viele Gays nachzueifern versuchen, nicht zugetraut hätte. Ich verliere mich in dem Moment, denke daran, wie sehr die Community von einer queeren Kultpersona wie Francois Sagat profitiert, wie letztendlich die gesamte Gesellschaft von ihm profitiert, ohne überhaupt von seiner Existenz zu wissen. Sagat lässt das Leben wie ein einziges großes Kunstwerk aussehen, in dem das größte Juwel er selbst ist.

Ich hätte noch so viele Fragen, aber unsere Zeit ist um. Zum Abschied nimmt er meine Hand in seine beiden muskulösen männlichen Hände, drückt sie und wünscht mir alles Gute. Natürlich will ich dann noch ein gemeinsames Foto mit ihm, denn wann, bitteschön, hat man denn die Gelegenheit, sich zusammen mit Jesus ablichten zu lassen. Die Handykamera wird gezückt und sofort nimmt Francois Sagat wieder seine Porno-Pose ein, setzt seinen Körper mit wenigen Bewegungen, dafür doppelter Intensität in Szene. Und als der Blitz der Kamera kurz den mäßig erhellten Raum (gut für mich, eine Verschwendung für ihn) erhellt, weiß ich: dieser Moment, der wird bleiben. Als ich gemeinsam mit einem Pornostar, der so viel mehr ist, für ein Foto posierte. Wenn ich später den Schnappschuss ansehe, fällt mir erst auf den zweiten Blick sein Körper auf.

Das Interview mit Francois Sagat fand im Rahmen von Pitbull statt, Wiens erfolgreichstes Gay Bear & Butch-Clubbing. Den Veranstaltern gelang es, Sagat als Special Guest zu engagieren – ein (sexy) Ritterschlag für das Clubbing, das monatlich auf DJ-Musik vom Feinsten, sexuell aufgeladene, aber zugleich auch vertrauliche Atmosphäre und jeder Menge heißer Männer setzt.

Das Interview mit Francois Sagat ist im aktuellen DU & ICH nachzulesen.

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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