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Published on Januar 21st, 2016 | by Manuel Simbürger

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ESC 2016: Wie eine Merci-Packung

Gestern Donnerstag wurden die 10 KandidatInnen vorgestellt, die darum kämpfen, Österreich beim diesjährigen ESC in Stockholm vertreten zu dürfen. Selten war die Auswahl so bunt, so vielfältig wie heuer. Das bedeutet aber auch: Granaten lassen sich genauso finden wie Flops und durchschnittliches Mittelmaß.

Dieses Wochenende wird in Stockholm die Start-Reihenfolge der antretenden Länder beim ESC 2016 gewählt. Nicht genug, nimmt damit Stockholm offiziell das Laster … ähm, das Erbe an, das Gastgeberland für den aktuellen ESC zu sein. Und löst Wien damit ab, weil bis dahin galt immer noch Österreich als offizieller ESC-Gastgeber. Das heißt soviel wie: Die ganzen Scherereien, das ganze G’riss und G’schiss haben nun die Schweden, wir können uns entspannt zurücklehnen.

Oder auch nicht (weil, nur mal so ne Frage, by the way und so: Wann ist Österreich wirklich mal so richtig entspannt?!). Denn nach dem ESC ist bekanntlich vor dem ESC: Diese Woche wurden die 10 KandidatInnen vorgestellt, die am 12. Februar in der Liveshow “Wer singt für Österreich?” in der Prime Time in orf eins um die Teilnahme beim ESC in Stockholm rittern werden. Vor zwei Jahren hat man das ja ohne dem Publikum entschieden, einfach Conchita hingeschickt – und prompt gewonnen. Voriges Jahr hat man’s mit dem genauen Gegenteil versucht: 36 KandidatInnen standen zur Auswahl, wir, das immer und immer wieder gutgläubige Publikum, war damit etwas überfordert. Wir haben uns schließlich für The Makemakes entschieden – und prompt den letzten Platz gemacht. Null Punkte. Vielleicht sollte man manchmal doch Experten und nicht das Publikum über die wirklich wichtigen Dinge im Leben entscheiden lassen (nämlich über die Teilnahme am ESC zum Beispiel).

Egal, letztes Jahr ist Geschichte, wir reden nicht mehr davon, sind wieder guter Dinge und schauen nach vorne. Der ORF setzt erneut auf das Publikum (und hofft im Februar auf gute Quoten), setzt uns dieses Mal aber nur 10 KandidatInnen vor. Das ist überschaubar, wir freuen uns und fühlen uns ein bisserl wie vor einer vollen Merci-Schachtel (die Schoki, für alle Süßigkeiten-Verächter da draußen), die wir öffnen und genießen dürfen: Für jeden Geschmack ist etwas Passendes dabei. Nur, das kennen auch alle Merci-Fans: Das, was auf der Verpackung drauf steht (Edel-Rahm! Milch-Praliné!! Herbe Sahne!!!) klingt oft besser, als es am Ende schmeckt. Und das ist auch bei den diesjährigen KandidatInnen der ESC-Vorausscheidung so. Oder, besser: Bei einigen. Denn es gibt hier durchaus Juwelen, Diamanten vielleicht, manche noch ungeschliffen, manche schon ganz gut in Form gebracht.

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Unter großem medialen Interesse wurde am Küniglberg (der Ritterfestung des ORF) die KandidatInnen präsentiert. Die Songs wurden kurz angeteasert, es durften lustige Fotos und Interviews gemacht werden und via Tablet (ja, auch der ORF kann so modern sein) konnte man sich die gesamten Songs anhören. Man ging also mal auf Tuchfühlung mit den Stars von morgen – sagen wir jetzt mal – und konnte sich ein erstes Bild machen. Was ganz gut war. Weil wir jetzt wissen, in wen wir unsere gesamten Hoffnungen, Träume und Wünsche setzen und projizieren können und dürfen. Und bei wem wir einfach so tun, als wäre es ein schlechter Scherz gewesen.

TOP

Wie so oft im Leben, halte ich mich an die Lebensweisheiten von Conchita Wurst. Die hat nämlich gestern im Ö3 Wecker ihre Favoriten bekannt gegeben – und man muss sagen, Frau Wurst hat Geschmack: Unter ihren persönlichen Lieblingen befindet sich auch der Cosmopolit Sankil Jones (in Wien geboren, in NYC aufgewachsen, libanesische Wurzeln), der mit „One more sound“ einen Song abliefert, der auf faszinierende Weise zwischen R&B, Pop und auch ein klein bisserl Dance pendelt und dank diesem ungewöhnlichem Mix nach einmaligem Hören sofort im Gedächtnis bleibt. Sowas hat man bis dato noch nicht gehört, schon gar nicht im konservativen Österreich. „One more sound“ ist der einzige Song unter den KandidatInnen, dem man auch einen internationalen Erfolg durchaus zutraut. Das große Plus aber ist Jones’ Stimme. Außergewöhnlich? Auf jeden Fall. Mit Ecken und Kanten? Sicherlich (und gut so!). Aber Jones beweist eine stimmliche Vielfältigkeit und vor allem Unverwechselbarkeit, dass man sich dieser nur schwer entziehen kann. „One more sound“ lädt zum Tanzen genauso ein wie zum Träumen oder zum erotischen Infight mit dem Partner – alles Punkte, die für einen ESC nicht das Schlechteste sind. Das volle Potenzial wird der Song, den Jones übrigens selbst geschrieben hat, aber erst durch seine Liveperformance entfalten, von der wir uns laut Jones Großes erwarten dürfen. Vom Künstler selbst dürfen wir uns das auf jeden Fall, denn Jones präsentiert ein Gesamtpaket aus Charme, Sexyness, Talent, Mut, Kreativität und Lebensfreude, wie man sie zumindest bei den diesjährigen KandidatInnen kein zweites Mal findet. Nicht nur Conchitas, sondern auch mein Favorit! Auch Branchen-intern sieht man Jones aktuell auf den vordersten Plätzen.

Da wäre zum anderen auch noch der Musicalstar Vincent Bueno, der mit seinem radiotauglichen Song „All we need is that love“ durchaus einen Ohrwurm abgeliefert und auch Frau Wurst begeistert hat. „All we need is that love“ ist eine flotte, wenn auch eher harmlose Up-Tempo-Nummer, die gute Laune verbreitet, aber zum Auslösen sonstiger (orgiastischer) Gefühle dann eher doch nicht im Stande ist. Die Stimme ist gut, klar, jedoch fehlen Ecken und Kanten, trotz bemühter Rapeinlage. Trotzdem: Im Vergleich zu den meisten anderen Songs seiner Mitbewerber sticht der Song heraus und könnte mit guter Bühnenperformance durchaus seine Fans finden und uns vom Hocker hauen. Unter Experten gilt Bueno aktuell als Favorit für Stockholm. Nach ESC klingt der Song schon mal.

HARMLOSES MITTELMASS

Es gibt ein paar Songs dieses Jahr, die sind weder gut noch schlecht, sondern sind halt einfach harmlos. Sie tun keinem weh, sind nett und fürs Radio sicherlich geeignet (sprich: Ö3, dem Tu-keinem-weh-Sender), aber nur bedingt für den ESC. Da gehört zum Beispiel der Song „Sky is the limit“ dazu vom an sich spannenden Musiker-Duo Farina Miss und Céline „Miss Austria 2002“ Roscheck. Als „Klassik und Moderne treffen Neo-Soul“ beschreiben sie ihren Stil, was sich jedoch besser und vor allem spannender anhört, als es tatsächlich ist. Das Inkludieren der Geige ist vor allem auf der Bühne sicherlich spannend (auch wenn Roscheck nicht live spielen wird), der Song plätschert, trotz positiver Message und rotzfrecher Stimme von Sängerin Farina Miss, aber eher dahin, Höhepunkte gibt es keine. Es ist eine Dance-Pop-Nummer, die man vor allem am ESC schon gefühlte tausendmal gehört hat. Die vielleicht für kurze Zeit begeistern kann, aber sich nicht im Gedächtnis festsetzt. Schade, da wäre mehr drin gewesen!

Auch im Mittelfeld siedelt sich der dritte Bursche im Bunde an, nämlich Orry Jackson. Eigentlich als „deutscher Soul“ angekündigt, ist „Pieces in a puzzle“ dann doch ein englischsprachiger Track geworden. Macht nix, auch okay. Jacksons Stimme ist gut, aber ohne großen Wiedererkennungswert. „Pieces in a puzzle“ ist wahrscheinlich jene der 10 ESC-Songs, die sich das Label „R&B“ am ehesten draufkleben dürfen. Ein bisserl erinnert die Nummer an eine Mischung aus Usher und Nineties-Pop a la Backstreet Boys oder N*Sync. Hört man sich den Song mehrmals an, geht er ins Ohr und hat auch durchaus Hitpotenzial – für die ESC-Bühne ist er jedoch nicht auffällig genug. Zwar will der Künstler als „Gesamtpaket überzeugen“, wie er selbst sagt, aber genau hier happert’s noch ein bisschen: Sein mehr als ultracooles Auftreten, das eher an Hip Hop-Möchtegerns als an sexy R&B-Sänger erinnert, passt nicht ganz zum doch sehr glatten und harmlosen Sound, den er mit „Pieces in a puzzle“ abliefert.

Lias Song „Runaway“ ist dieses Jahr die einzige klassische Ballade. Tolle Stimme, durchaus auch das ein oder andere große Gefühl, aber nichts, was einem vom Hocker reißt. Hier gilt ähnliches wie bei Roscheck und Farina Miss: Ganz guter Song, aber man hat ihn schon in dieser Art unzählige Male beim ESC (und Castingshows, in Lias Fall) gehört. Aber: Österreich steht auf große, kitschige Balladen. Live könnte dieser Song, untermauert mit passender, gefühlsvoller Performance, zum Geheimtipp werden.

Zoe wird ja gern angekreidet, dass sie dieses Jahr schon wieder dabei ist, hat sie’s doch schon voriges Jahr probiert in der Vorausscheidung, und da hat’s auch (knapp) nicht geklappt. Mir ist das eigentlich ziemlich wurscht, tut ja keinem weh, dass sie ihr Glück nochmal versucht (und Papermoon-Papa Straub dürfte hier auch den einen oder anderen Finger im Spiel gehabt haben). Zoe ist ein süßes, intelligentes Mädel, das mit ihrem Chanson-Stil angenehm aus der Reihe tanzt. Eigentlich. Denn dieses Jahr ist ihr Song „Loin d’ici“ mehr Euro-Dance-Pop, wie man ihn noch aus den Neunzigern kennt (und nicht alles aus den Neunzigern war gut!) als gefühlvoller, spielerisch-erotischer Chanson. Hier hat die talentierte Sängerin eindeutig Potenzial verschenkt, da wäre mehr gegangen. Klar, es gibt schlechtere Songs dieses Jahr. Aber auch um so viel bessere.

FLOP

Bella Wagners Song „Weapons Down“ ist nicht unbedingt schlecht. Fast schon hymnisch singt sie über Frieden und spricht sich gegen den Krieg aus – eine Message, die leider immer noch Aktualitätswert besitzt (aber, seien wir uns ehrlich, auch etwas abgedroschen ist). Auch die Stimme Wagners, die bereits als Backgroundsängerin von Falco und Support Act bei Lenny Kravitz war, kann durchaus mit ihrem vollen Volumen überzeugen. Trotzdem wird der Song recht schnell langweilig, wirkt zu träge, zu behäbig. Und Wagner selbst ist, sorry, leider alles andere als eine Sympathieträgerin: Bei der ESC-Pressekonferenz zeigte sie sich redefaul, zu einem Lächeln konnte sie sich nur bedingt durchringen. Es umgibt sie eine Aura der Arroganz und man kann sich Wagner nur schwer inmitten des bunten, grellen, lustigen ESC-Treibens vorstellen. Denn wir wissen ja: Beim Song Contest zählt das Gesamtpaket, nicht nur der Song oder die Stimme.

AzRaH ist eine sympathische Frau, die Spaß an dem hat, was sie tut. Das merkt man sofort. Nur hilft auch der größte Enthusiasmus nix, wenn das Lied einfach nicht gut ist: „The One“ ist dermaßen durchschnittlich, dass man Mühe hat, ihn sich ganz bis zum Ende anzuhören. „The One“ fängt stark an, verkommt dann aber immer mehr zu einer Billig-Dance-Nummer, die in Balkan-Discos besser aufgehoben wäre als auf der ESC-Bühne. Die Stimme ist nichts Besonderes. Das ist leider nichts geworden.

Die beiden Küken Elly und LIZZA fasse ich einfach mal zusammen. Ja, die Mädels sind süß. Sympathisch. Man wünscht ihnen alles Gute und viel Erfolg. Aber bitte nicht beim ESC (den sie ohnehin nicht hätten). Ich habe Mühe, die beiden Songs auseinander zu halten, so ähnlich klingen sie, zumindest für mich. Auch nach mehrmaligem Anhören bleiben sie nicht im Ohr. Die Stimmen sind gut, alles in allem wirkt das Ergebnis der beiden aber noch zu unreif. Was okay ist, Elly ist erst 17, LIZZA 19 Jahre alt. Sie haben noch Zeit, ihren Weg zu finden. Was sie erstmal tun sollten, bevor sie Österreich beim größten internationalen Gesangswettbewerb vertreten. Zwar ist LIZZA für Conchita Wurst die absolute Nummer 1, wie sie im ö3 Wecker heute kundtat, aber da muss ich der Frau Wurst ausnahmsweise aufs heftigste widersprechen: Wie es ausgeht, wenn wir süße Mädels von Nebenan mit guter, wenn auch nicht hervorragender Stimme und durchschnittlichen Songs zum ESC schicken, haben wir bei Nadine Beiler und Natalia Kelly gesehen. Natalia … wer? Genau.

Fazit

Bunter Mix, bei dem interessanterweise vor allem die wenigen Burschen besonders hervorstechen. Während die Mädels am Ende doch alle sehr ähnlich klingen und sich mehr an Radio-, als an ESC-Formaten orientiert zu haben scheinen, überzeugen allen voran Bueno und Jones mit toller Stimme, abwechslungsreichem Sound und tollem, interessanten Auftreten. Besonders Sankil Jones ist ein musikalisches Juwel, dessen musikalischer Stil einen nicht mehr so schnell loslässt und der als Allroundtalent (Sänger, Tänzer, Choreograph, Geiger, Model) die besten Voraussetzungen und Erfahrungen mitbringt, um Österreich als musikalisch vielfältiges Land zu präsentieren. Und seit Conchita wissen wir ja: Bärte bringen Glück.

Interview mit einigen der KandidatInnen gibt’s hier.

Fotos: ORF, privat

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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