TV Final-Poster

Published on März 24th, 2015 | by Manuel Simbürger

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Glee: The day the music died

Die kunterbunte Welt von „Glee“ hat sich für immer geschlossen. Wir verdrücken eine Träne. Erleichtert sind wir trotzdem: Eine problematische Beziehung ist nun endgültig beendet.

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Die besten, gefühlvollsten, beeindruckendsten, einflussreichsten Geschichten beginnen immer – na gut, meist… na gut, oftmals – mit der Märchen-Ansage „Es war einmal …“. Es war einmal ein todunglücklicher Junge, der noch viele Prüfungen bestehen musste, um letztendlich sein Glück finden zu können. Es war einmal ein schüchternes Mädchen, das eigentlich gar nicht schüchtern war, sondern in Wirklichkeit die gesamte Menschheit hasste. Es war einmal ein anderer Junge, der war der Beliebteste an seiner Schule und sollte doch ein tragisches Ende im Leben finden. Es war einmal ein Mädchen, das litt darunter, weil niemand ihr Talent erkannte. Und vor allem war da mal ein Mädel, das träumte schon immer davon, ein Star zu werden, die Welt zu erobern und die große Liebe zu finden. Ja, es war einmal eine Gruppe von Teenagern, die fanden zusammen, weil sie die Liebe zur Musik teilten – aller Unterschiede zum Trotz. In der Musik, beim Singen, beim Tanzen, da waren sie alle gleich. Und machten die Welt dadurch ein kleines Stückchen schöner – und vor allem bunter und poppiger.

When dreams come true

Ja, es gab einmal eine Zeit, da war „Glee“, die FOX-Musical-Dramedy-Serie, tatsächlich bahnbrechend. War ein Phänomen, das die Popkultur für immer verändern sollte. Das die Außenseiter dieser Welt zu den Helden der Gesellschaft machte, das betonte, das Anders-Sein nicht nur okay, sondern auch etwas war, worauf man stolz sein durfte. Nein: sollte. „Glee“ begeisterte Jung und Alt, kämpfte für gesellschaftliche Toleranz und war dabei trotzdem – oder vor allem deshalb – vor allem eines: eine Welt, eine zuckerlbunte, in die man entfliehen konnte, wenn der eigene Alltag wieder mal allzu grau, allzu düster zu werden drohte. In der Welt von „Glee“, da war am Ende, trotz ebenfalls so mancher düsterer und herrlich politisch unkorrekter Momente, immer alles in Ordnung. Ein Ende, bei dem alle miteinander tanzten, sangen und dabei auf so unkomplizierte Art und Weise zu sich selbst fanden.

Zu diesem Ende kehrte die Serie bei ihrem tatsächlichen Ende, nämlich im Finale, das vergangenen Freitag in den USA über die Bildschirme flimmerte, erneut zurück. „Dreams come true“ erinnerte an diese gute alte Zeit, als „Glee“ die gesamte Welt eroberte, in dem im ersten Teil der 1,5-stündigen Episode die Ursprünge der Original New Directions beleuchtet wurden, und baute zugleich eine Brücke in die Zukunft, wenn die Autoren im zweiten Teil des Finales uns Fans einen Blick in die Zukunft unserer Helden gewährten. Es war beinahe wie eine Versöhnung verschiedener Welten: die glorreiche Vergangenheit, die problematische Gegenwart und die im Grunde bereits verbaute Zukunft sollten sich die Hand reichen, sich vielleicht sogar umarmen und endlich Frieden schließen. Es sollte aber auch eine Versöhnung zwischen Fans und der Serie werden, die sich in den letzten Jahren so sehr voneinander entfernt hatten und sich, zuweilen schmerzhaft, immer mehr auseinanderlebten.

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Eine Reise in die Vergangenheit

Wie es aber oftmals mit Versöhnungen ist, kommen diese ein bisschen gezwungen daher – gut gemeint, aber nicht immer gut ausgeführt. Zweifelsohne war das „Glee“-Finale einer der besten Episoden seit langer Zeit, besonders im ersten Teil kam tatsächlich altes „Glee“-Feeling beim Zuseher wieder auf. Man erinnert sich, wo man war, als man das erste Mal in diese Sing-Along-Welt eintauchte, wie sehr man es liebte, Rachel zu hassen, wie zwiespältig man Puck gegenüberstand, wie sehr man mit Kurt mitfühlte, wie einzigartig Artie war. Wurde die damaloge Pilotfolge vor allem aus Sicht von Mr. Shue erzählt, bekamen wir, sechs Jahre später, endlich einen Einblick, was die Charaktere dazu bewegte, sich dem Gesangschor der Schule anzuschließen – und somit eine Entscheidung zu treffen, die für immer ihr Leben verändern sollte. Mit viel Liebe zum Detail wurden alte Szenen aus der Pilotfolge nachgestellt, erweitert, ergänzt, mehr Tiefe gegeben – allen voran Lea Michelle und Jenna Ushkowitz schafften es, problemlos in die alte Personality ihrer Figuren zu schlüpfen und somit einmal mehr die große Charakterentwicklung (oder sagen wir lieber: -veränderung) der letzten sechs Jahre von Rachel und Tina zu betonen. Ach ja, Tina, die stotterte mal und fand es cool, nicht beliebt zu sein. Rachel, die war damals schon ehrgeizig, scheute aber nicht  davor, auf dem Weg zum Erfolg über Leichen zu gehen. Jahre später sollte Rachel Berry nicht mehr ihren Freunden, sondern vor allem sich selbst im Weg stehen und Tina, die wurde zum meistgehassten Mädel der Schule (und Figur der Serie), als sie zur Promqueen aufstieg. Zwischen den Zeilen ist hier beim sentimentalen Flashback also durchaus zu lesen: So wie am Anfang, so sollte es nie mehr werden. Die Gefühle des Verliebt-Seins, die Aufregung, die Faszination des Neuen, die verfliegen und sind nur erneut einzufangen, wenn man wirklich hart und vor allem wohlüberlegt daran arbeitet. Was die „Glee“-Autoren nicht getan haben.

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Sentimentalität, aber auch Ärger

Der zweite Teil des Finales widmete sich der Zukunft von Rachel, Kurt, Mercedes und Co. – und tappte, obwohl durchaus mit Highlights aufwartend (zum Beispiel Rachels finales Solo oder Mr. Shues Liebeserklärung an die Original New Directions), dann doch in die „How I met your mother“-Falle: Zu vollgepackt, zu gehetzt, zu gut gemeint kamen die finalen 45 Minuten daher. Beinahe formelartig wurde die Zukunft unserer Lieblinge abgehandelt, wobei auch vieles auf der Strecke blieb und zum Teil problematische dramaturgische Schwerpunkte gesetzt wurden: War es wirklich nötig, Mr. Shue, der in den letzten drei Staffeln nichts mehr als eine Randfigur war und sich die Sympathien vieler Fans verspielte, so viel Screentime einzuräumen? Hätten wir nicht gern gewusst, was aus Quinn und Pack, Santana und Brittany, ja gar Marley, Jake und Ryder geworden wäre? Wenn vor allem die erstgenannten erst zur finalen Performance auftauchen, bei der sie aber kein Wort sagen düürfen, und die Autoren es nicht für nötig empfanden, das Schicksal dieser Figuren (immerhin Fan-Favourites!) nicht mal am Rand zu erwähnen, dann werden die Augen feucht – nicht vor Sentimentalität, sondern vor Ärger und Wut. Und man ertappt sich beim Gedanken: „Es war schön, es hat mich sehr gefreut, aber nun ist’s auch gut.“ Ein Serienfinale sollte viele Gefühle beim Zuseher auslösen – dieses gehört nicht unbedingt dazu.

Was uns dann aber doch die Augen aus den richtigen Gründen feucht werden und unsere Brust schmerzlich zusammenziehen lässt, sind neben Rachels herzzerreißender und dramaturgisch absolut passenden Performance von „This Time“ (geschrieben von Blaine-Darsteller Darren Criss!), mit der sie sich endgültig von ihrer Vergangenheit verabschiedet und in eine neue Zukunft aufbricht, sowie den realen Tränen der SchauspielerInnen (ähnlich wie bei der Cory Monteith-Trinutfolge „The Quarterback“) natürlich die zahlreichen Erinnerungen an Cory Monteith alias Finn Hudson. Mit der Aufnahme von Finn in den Glee-Club wurde für Rachel und Co. endgültig klar, was sie mit ihrem kleinen Gesangsverein (neben Geld, Ruhm, Sex und Anerkennung) erreichen wollten: nämlich nichts weniger als gesellschaftliche Veränderung. Toleranz. Wenn die originale Debut-Performance von „Don’t stop believin“ gezeigt wird – inklusive Monteith! – dann heulen wohl nur jene Zuseher nicht, die auch beim Tod von Bambis Mutter gelacht haben. Sogar die allerletzte Einstellung der Serie wurde Finn Hudson gewidmet – eine mutige und respektvolle Entscheidung, die nur sehr wenige andere TV-Serien, die an ausgeschiedene Figuren meist nur noch wenige Gedanken verschwenden, getroffen hätten.

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Was die Zukunft bringen wird

Aber sind wir nun zufrieden, wie die musikalische, knallbunte Reise von Rachel, Mercedes, Kurt, Blaine, Artie, Tina und Sam zu Ende ging? Dass Mercedes als Vor-Act mit Beyonce auf Welttournee geht, ist natürlich herrlich übertrieben, man gönnt es aber der Diva, die immer schon eine war und die ihr Talent so lange wegen Rachel hintenanstellen musste. Kurt und Blaine bleiben – zumindest bis 2020 – tatsächlich verheiratet (was wohl die größte Überraschung des gesamten Finales ist), werden als erfolgreiches Musical-Duo zu LGBTQ-Vorbildern und bringen kleine Kids die Freuden der Musik näher. Die Message ist klar: Klaine ist das Power-Gay-Couple des kommenden Jahrzehnts, das optisch zwar erschreckend an eine Mischung aus Elton & David sowie Sigfried & Roy erinnern, aber anscheinend tatsächlich etwas in der Welt bewegen. Artie und Tina, das erfahren wir wenigstens so nebenbei, machen ihren Weg als Regisseur bzw. Schauspielerin im Arthouse-Sektor – und sind tatsächlich ein Pärchen. Mike wird vergessen, nicht mal erwähnt, aber das werden ja Jake, Marley, eben Quinn und Puck sowie Sues Baby (!!!) ja auch nicht. Dass Sam der neue Glee-Club-Lehrer wird, ist natürlich absolut unglaubwürdig, wird von den Autoren aber zumindest mit einem Augenzwinkern (wenn Blaine unglaubwürdig Sams erste Lehrstunde verfolgt) vermittelt. Die größte Veränderung steht aber Will Shuester bevor: Nicht nur glücklicher Ehemann (von Emma, of course!) und vierfacher Vater, sondern sogar Direktor der McKinley High wird der ehemalige Spanischlehrer zukünftig sein, die Schule selbst wird in eine Highschool mit Schwerpunkt Kunst umgemodelt – womit Will wohl endgültig über Sue gewonnen hat, was diese auch (gar nicht so zähneknirschend) eingestehen muss. Ihr kann’s aber egal sein, bekleidet der diabolische Cheerio-Coach 2020 doch nichts weniger als das Amt der Vizepräsidentin der USA. Sogar eine Freundschaft mit Will wird angedeutet. „Glee“ war immer schon herrlich satirisch überdreht – und bleibt diesem Charakteristika mit Sues Storyplot auch angenehm treu.

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Und Rachel? Die hat endlich, wie es brave Mädchen nun mal tun, ihre Ausbildung in NYADA erfolgreich abgeschlossen und – auch endlich – ihre große Karriere am Broadway gemacht. All die Wirrungen der fünften und im Grunde auch sechsten Season erwiesen sich letztendlich also nur als Irrwege, die nirgends hingeführt haben: Wie seit der allerersten Folge erträumt, gewinnt Rachel den Tony als beste Broadway-Schauspielerin – und ist mit Jesse St. James verheiratet, dem einzigen Love Interest, der Finn jemals das Wasser reichen konnte. Klar, auch das kommt etwas erzwungen daher, ist aber immerhin besser zu verdauen als die in den letzten Wochen aufkeimende Sam-Rachel-Romanze. In ihrer Dankesrede auf der Tony-Bühne dankt Rachel allen voran Mr. Shue, jenem Lehrer, der sie zu dem strahlenden Star gemacht hat, der sie heute ist. Das ist rührend, klar, hat aber auch einen bitteren Nebengeschmack, wenn man weiß, wie die ursprüngliche letzte Szene der Serie hätte aussehen sollen: Da wäre Rachel in die McKinley zurückgekehrt, als großer Broadway-Star, wo sie Finn Hudson, der Glee-Club-Lehrer und ihre große Liebe, erwartet hätte. „I’m home“ hätte Rachel tränenreich gesagt – und das wär’s gewesen. Schluss. Aus. Gänsehaut. Da kann auch die emotionalste Tony-Dankesrede nicht so ganz mithalten. Und Rachel als Leihmutter von Kurt & Blaine? Da ist sogar für „Glee“ zu schräg.

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Wir sagen Auf Wiedersehen

„Glee“ schließt mit einer Gruppenperformance von One Republic’s „I lived“, bei der sich neben Brittana, Quinn und Puck auch Mike, Sugar Motto und andere ehemalige Serienfiguren einfinden (natürlich, ohne ein Wort sagen zu dürfen). Nicht nur musikalisch, sondern auch im rot-weißen Klamotten-Style wird dem Überhit „Don’t stop believin“ ein letztes Mal Tribut gezollt. Ein schwacher Abklatsch, das schon, aber ein halbwegs versöhnlicher Abschluss. Und darum ging’s in diesem Finale schließlich.

Eine Ära ist vergangen Freitag sicherlich zu Ende gegangen, das darf man sagen. „Glee“ hat die Welt verändert, hat uns die Musik neu entdecken lassen. Wir haben gesungen, gelacht, uns geärgert und noch mehr gefreut. Wenn man eine langjährige Beziehung nach all den Höhen und Tiefen beendet, dann tut es immer weh – auch wenn man weiß, dass es der richtige Schritt war. Dass es nicht mehr anders ging. Wenn man sich nur noch gegenseitig verletzte. Spätestens dann sollte man Auf Wiedersehen sagen.

Und doch: Wir fühlen uns nun erstmal alleine, weniger bunt in der Seele, weniger federleicht. Aber wir werden damit umgehen können. Das Leben geht schließlich immer weiter – auch das haben wir von „Glee“ gelernt. Was uns „Glee“ noch gelehrt hat: Gefühle drückt man am besten musikalisch aus. Weshalb ich, als kleines Tribut an eine der außergewöhnlichsten Serien dieses Jahrzehnts, zum Abschluss Don McLean mit seinem Welthit „American Pie“ zitieren möchte:

 

„A long, long time ago
I can still remember how that music used to make me smile
And I knew if I had my chance
That I could make those people dance
And maybe they’d be happy for a while

(….)

But something touched me deep inside
The day the music died“

 

Goodbye, Glee.

 

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Credits aller Fotos: (c) FOX

 

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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