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Published on Januar 18th, 2017 | by Manuel Simbürger

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Nocturnal Animals: Wenn das Schöne mit dem Grausamen

Tom Fords zweites Regiewerk verbindet eleganten Stil mit zynischer Brutalität, stilles Psychodrama mit knallhartem Psychothriller. Und stellt dabei auch noch Fragen nach Kunst und Männlichkeit.

Nackte Hängebrüste. Wabbelige Bäuche und schwabbelige Oberschenkel. Gut zwei Minuten lang zeigt uns Tom Ford zu Beginn seines neuen Films „Nocturnal Animals“ nackte und stark übergewichtige Burlesque-Tänzerinnen. Frauen, die mit sich und ihrem Körper zufrieden sind, die sich verführerisch vor der Kamera räkeln, mit einem Blick, der Sex und Selbstbewusstsein zugleich widerspiegelt. Auch das hat Stil. Denn Stil, der spielt auch in Fords erst zweitem Regiewerk, der auf dem Roman „Tony and Susan“ des 2003 verstorbenen Schriftstellers Austin Wright basiert, eine nicht unwichtige Rolle. Wenn auch anders, als man es erwartet hätte. In „Nocturnal Animals“ nämlich, da existieren Schönheit und Hässlichkeit, Licht und Dunkelheit, Kälte und Wärme, das Schöne (schon wieder) und das Grausame nebeneinander. Geben einander die perfekt manikürten Hände. Genau genommen war das schon in Fords Erstlingswerk „A Single Man“ ähnlich: Auch da fand der Modedesigner das Schöne im Traurigen, das Tröstliche im Drama. Nun aber geht Ford in die Vollen: Er verbindet stilles Psychodrama mit knallhartem Psychothriller und stellt dabei auch noch, wie „Die Zeit“ so treffend analysierte, die grundlegende Frage in den Mittelpunkt, wie sehr Kunst und Leben tatsächlich miteinander verknüpft sind – und verknüpft sein dürfen. Was Kunst mit einem Menschen anrichtet, sowohl mit dem Rezipienten als auch mit dem Kommunikator, mit dem Sender als auch Empfänger (und das ist hier sogar wortwörtlich zu nehmen).

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Leseratte

Nachdem die Kamera von den sich stolz repräsentierenden Burlesque-Damen wegzommt, erkennen wir, dass sie bloß Teil einer Kunstausstellung sind, für die Susan (wie immer intensiv und eindringlich: Amy Adams) verantwortlich zeichnet – und schon sind wir wieder mittendrin in einer typischen Tom Ford-Welt: Kühl-sterile Kunsträume mit perfekt gestylten, schlanken und makellosen Menschen darin, umgeben von klaren Linien und Formen, in Szene gesetzt mit eindringlichen Kameraeinstellungen und -fahrten. Während die Tänzerinnen noch Leben ausstrahlten, symbolisieren Susan und ihr Umfeld Leere und Unterkühltheit. Als Susan jedoch wie aus dem Nichts das neue Manuskript ihres Ex-Ehemanns und Möchtegern-Autors Edward (ebenfalls gewohnt top: Jake Gyllenhaal) zugeschickt bekommt, schneidet sie sich gleich mal an der scharfen Papierkante – und prompt beginnt ihre so strukturierte und abgegrenzte Welt, die sie sich aufgebaut hat (in der sie aber keinesfalls glücklich ist, weil die Ehe mit Geschäftsmann Hutton ist genauso emotionslos wie die sterilen Büro- und Kunsträume), zu zerbröckeln. 19 Jahre hat sie von Edward, ihrer einstigen großen Liebe, nichts mehr gehört – und nun soll sie ein Manuskript lesen, das auch noch genauso heißt, wie er sie, die schlaflose und damals noch so hoffnungsvolle und optimistische Susan, immer genannt hat: „Nocturnal Animal“. Nachttier. Und auch, wenn die Geschichte – und somit der Film zum Buch im Film – mit einer wunderschönen und friedlichen Landschaftsaufnahme der Wüste beginnt, stellt sich bald heraus, dass das Dunkle, das Grausame die Story dominiert. Schnell zieht das Buch-in-spe Susan in ihren Bann – und bald erkennt sie Parallelen zu ihrem realen Leben ….

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Geschickt, subtil und gegensätzlich

„Nocturnal Animals“, sowohl das Manuskript als auch der Film selbst, ist – auch das beschreibt „Die Zeit“ sehr treffend – „ein Spiegelkabinett zwischen Kunst und Wirklichkeit, Motiv und Verweisen“. Dabei tappt Ford nicht in die Falle des Offensichtlichen, vielmehr fordert er seine Zuseher, die ohnehin schon von der intensiven Brutalität und Zynismus des Films gefangen genommen worden sind: Äußerst subtil und pointiert stellt er die Parallelen zwischen den drei Erzählebenen (Susans Gegenwart, die erfundene Manuskript-Story sowie Flashbacks in Susans und Edwards Vergangenheit) dar. Nie verrät Ford zu viel, aber immer gerade mal genug, um mit Spannung dranzubleiben und Gedankengänge loszutreten. Dass sowohl Edward als auch Tony, der Protagonist im Manuskript, beide von Gyllenhaal dargestellt werden, und Ford auch Adams-Doppelgängerin Isla Fisher mit ins DarstellerInnen-Boot geholt hat, ist da schon der offensichtlichste (aber deshalb nicht weniger kluge) Schachzug des Regisseurs. Lücken im Erzählten muss der Zuseher selbst füllen. Wieso mittendrin im Film plötzlich wieder die dicken Damen vom Beginn auftauchen, weiß man auf dem ersten Blick nicht so Recht. Auf den zweiten Blick wird an dieser Szene einmal mehr die Doppeldeutigkeit und das Gegenüberstellen von (scheinbaren) Gegensätzen deutlich, die „Nocturnal Animals“ bis zur letzten Einstellung wie ein (blut)roter Faden durchzieht: Nackte, geschundene Leichen im harten Schnitt zu den wollüstigen Vollweibern. Tod und Leben verschmelzen miteinander. Wie auch bei Edward/Tony und Susan im Laufe des Films. Schön und grausam ist beides.

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Geschundene (männliche) Seele

„Nocturnal Animals“, dieses so erfundene wie auch ehrliche Skript, soll Susan vor Augen führen, dass sich ihr Leben in falschen Bahnen entwickelt hat. Dass jede Entscheidung im Leben Konsequenzen nach sich zieht. Und es zeigt ihr, dramaturgisch überhöht und zugespitzt, wie es in Edwards Seele wirklich aussieht, seit jenem Abend, als sie ihn verlassen hatte. Es sind Mörderfantasien an der Ex, die er hier Wirklichkeit werden lässt. Jede/r Tote in der erfundenen Geschichte ist ein real empfundener Verlust von Edward: Die erfundene Tochter wird geschändet und ermordet, Susan hat das gemeinsame Kind ohne Edwards Wissen abgetrieben. Auch das ist Mord – zumindest empfindet es der sensible Autor so. Der geschundene Körper Tonys ist die geschundene Seele von Edward. Jeder abgefeuerte Schuss ist eine perfide Attacke an Susans Psyche. Er rechnet aber nicht nur mit Susan, sondern auch mit sich selbst ab: Denn sowohl Tony als auch Edward sind schwach, fragil, erstarren vor Schreck, wenn sie eigentlich handeln müssten. Faszinierend und erneut geschickt subtil erweist sich „Nocturnal Animals“ (der Film) zwischen all den Gräueltaten, Großaufnahmen von geschockten Gesichtern und dem einen oder anderen Dramaturgieklischee als psychoanalytische Abhandlung von Männlichkeit: Nicht nur, dass dem zögernden Tony die testosterongeschwängerten Mannsbilder, der Rednack-Psycho Ray Marcus (verdienter Golden Globe-Gewinner: Aaron Taylor-Johnson) sowie der Lonesome-gone-bad-Sheriff Bobby Andes (Michael Shannon), entgegengestellt werden. Die erfundene Racheabhandlung ist gar die einzige Möglichkeit des Autors Edwards, der sich nie wirklich zu wehren weiß, seine Wunden zu heilen und für moralischen Ausgleich zu sorgen.

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Dass emotionale Gewalt realen Gräueltaten um nichts nachstehen muss, zeigt die letzte, erschreckende Szene des Films, in der Edwards Grausamkeit sich nun endgültig entfaltet. Wir erkennen: Nicht nur Susans fiktives Ebenbild wurde vergewaltigt. Und dank Tom Ford, dem Gott der extravaganten Sonnenbrillen, verführerischen Parfumflakons und dekadenter Eleganz, haben wir einmal mehr gelernt: Worte, die einer verletzten Seele entstammen, sind immer noch die gefährlichste Waffe.

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Bilder: (c) Universal Pictures

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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