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Published on Mai 29th, 2014 | by Manuel Simbürger

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Queer-lesque: Die Kunst, sich auszuziehen

„Can you smell the sex?“

Moderatorins *BOB* (lustigerweise trotz gender-bendingen Namen Frau durch und durch) Pussy rauchte, ihre Brüste waren geschwollen vor Aufregung und einen Blowjob hält sie für nichts anderes als eine freundliche Begrüßung. Ja, so geht’s zu beim ersten Boylesque-Festival in Europa, stattfindend in Wien und organisiert von Jacques Patriaque, seines Zeichens Ehemann von ESC-Superstar Conchita Wurst und selbst (begnadeter) Boylesque-Performer. Gestern Abend fand das Opening Event statt, heute geht’s mit dem Main Event (und gleichzeitig schon wieder den Abschluss) weiter. Zwei Abende also Sex pur im Wiener Stadtsaal, Sex in allen Variationen, in jedem Stil, über alle sexuelle Definitionen hinweg. Weswegen *BOB* auch von Beginn an gleich darstellte, dass so mancher im Publikum seine sexuellen Vorlieben nach diesem Abend sicher überdenken werde und dass wir alle als „free and liberated perverts“ (*BOB*, die Gute, kommt aus New York City) nach Hause gehen werden. Na, dann ist ja alles gut.

Der Abend stand unter dem Motto „Queer-lesque“, was soviel heißt wie: jeder, der mag, zieht sich auf der Bühne aus, egal ob Männchen, Weibchen, irgendwas dazwischen, dick oder dünn, auf lustig oder auf verrucht. Wobei, so ganz stimmt das nicht. Erstens: Der Großteil der Burlesque-Performer (die aus ganz Europa und sogar aus den USA angereist waren) an diesem Abend waren weiblich, was ein bisserl enttäuschte, weil man sich unter dem schönen Deckmantel „queer“ doch mehr (geschlechtliche) Vielfalt erwartet hätte. Aber, zugegeben, das ist Kritik auf hohem Niveau, und vielleicht liegt’s auch einfach daran, dass ich nackte Typen sehen wollte. Aber die Mädels sind ehrlich gesagt den Burschen in Sachen Stage-Erotik eh zum Teil um Nasenlänge voraus. Aber ich greife schon vor.

Und, wegen dem „jeder kann sich dort ausziehen“ und so: Nein, eigentlich ist das sogar ziemlich gemein, das zu sagen. Denn prinzipiell gehört schon mal eine Menge dazu, sich vor fremden Menschen nackt zu zeigen . Und Burlesque ist durchaus eine Kunst, die man nicht verachten darf. Das ist mehr als einfach nur Ge-Strippe a la Chippendales, zumindest sagen die Performer das selbst. Und es ist was dran, denn eine Burlesque- (oder Boylesque, oder Queerlesque- oder Bearlesque oder irgendwas-lesque)-Performance ist eine Geschichte, die auf der Bühne erzählt wird, indem man sich auszieht. Das klingt ziemlich lustig und eigenartig, und irgendwie ist es das auch. Gleichzeitig aber auch sehr erotisch (no na), sehr unterhaltend und sehr Augen-öffnend. Denn die –lesque-Kunst will uns vermitteln: Wir alle sind Sexsymbole, wir alle brauchen uns nicht so ernst zu nehmen, wir alle leben doch eigentlich nur, um die Welt der Erotik bis ins allerletzte Detail kennenzulernen – und auszukosten. Da ist es egal, dass du nicht den perfekten Körper hast,; das ist sogar ziemlich von Vorteil. Denn je mehr Rundungen du hast, je mehr dein Hintern wabbelt und je mehr an Brüsten du shakern kannst, desto mehr zuckt das Publikum aus. Vor Begeisterung. Denn dann zeigst du, dass du dich pudelwohl in deinem Körper fühlst, und nichts ist, Klischee hin oder her, erotischer. Und das Publikum hat weniger Minderwertigkeitskomplexe. Und deshalb liebt es dich. Das Publikum, das aus Jung und Alt besteht, aus Männern und Frauen, aus Homo und (Minderheit-)Hetero, aus Turnschuh-Trägern und absoluten Fashionista-Stilikonen wie diese junge Dame hier:

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Die Gute könnte durchaus aus den 20er-Jahren stammen:

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Aber, ach ja, die ausziehenden Männer: Sicher, die sind cool und beweisen, schon allein im Sinn der Sache, mehr Selbstironie auf der Bühne als die Mädels. Überraschenderweise legen die meisten der männlichen Performer, zumindest an diesem Abend, ihre Performance eher in Richtung Kabarett oder halten sich, was aufreizende Bewegungen anbelangt, zurück, was schon schade ist, weil ein männlicher Körper sich ja durchaus auch sehr, sehr erotisch bewegen kann (mach ja auch ich jeden Tag….). Dass genau das das kulturell-notstandige Publikum sehen will, beweist der Auftritt von Dave The Bear aus UK, der sich auf der Bühne so gar nix scheißt und beinahe schon mehr eine Porno- als Boylesque-Show abzieht. Dave, das Bärli, knutscht da schon mal einen Typen aus dem Publikum ab (damn…wieso saß ich nicht in der ersten Reihe?!), macht sich blitzschnell nackig, performt Sex-Bewegungen und lässt sich (ja, wirklich!) von der ersten Reihe aus (again…damn!) mit Wasserpistolen vollspritzen, bis er, nur noch im engen Slip bekleidet, waschelnass ist. In diesem Moment erkennt man den Unterschied zwischen „Magic Mike“ und Boylesque nicht mehr wirklich, aber was soll’s, das Publikum johlt und darf endlich den Sex in vollem Ausmaß riechen. Und unwillkürlich kommt einem da der Gedanke: Cool, was man heutzutage alles Kunst nennen kann.

Weil’s nach 3,5 Stunden Erotik-Power doch schon bissl viel ist und man sich etwas satt gesehen hat an (halb)nackten Körpern, gibt’s zum Schluss noch eine ordentliche Portion Conchita Wurst. Jetzt zuckt das Publikum vollkommen aus, und es wird klar, dass der Stadtsaal vor allem deshalb ausverkauft ist, weil alle die Conchy, unser neues National-Heiligtum, bewundern und live sehen wollen. Standing Ovations, Auf- und Abgehupfe, losgelöste Begeisterungsschreie, wahrscheinlich auch die einen oder anderen Freudentränen (hey, es waren sehr, sehr viele Schwule im Publikum!). Die Wurst gab, aus Ermangelung an Songs, auch diesmal ihre Hits „That What I am“, „Rise Like a Phoenix“ (zieht immer noch!!) und, jaja, „My heart will go on“ zum Besten. Man kann den Hype um die Gute übertrieben finden oder nicht, aber wer die Wurst einmal live erlebt hat, der weiß: sie nimmt die Bühne ein wie sonst nur die ganz Großen, ihre Stimme zeigt keine Makel, ihre Ausstrahlung erreicht auch noch die allerletzte Sitzreihe im Saal. Sie verkörpert all das, wofür diesen Abend eingestanden wird: Erfolg dank Selbstakzeptanz, glitzernder Roben und perfekt sitzender Frisur. Nur ausgezogen, das hat sich die Wurst nicht. Leider. Oder so.

Zum Abschluss noch 5 Dinge, die ich an diesem Abend fürs Leben gelernt habe:
1. Handschuhe zieht man prinzipiell immer nur mit den Zähnen aus.
2. Scheiß auf Fitness, deine Mitmenschen lieben dich auch so (viel mehr).
3. Glitterregen geht immer. Und sich nass zu machen sowieso.
4. Mona Lisa ist eigentlich ein Mann.
5. Cocktails kann man auch mit Brüsten zubereiten.

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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