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Published on November 12th, 2015 | by Manuel Simbürger

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Revolverheld: MTV Unplugged

Es gab mal eine Zeit, da assoziierte man den Sender MTV nicht mit Reality-Shows zum Fremdschämen und Award-Shows, die ebenfalls zum Fremdschämen einladen, sondern tatsächlich mit Musik, mit Stars. Mit einer fremden, aber doch so bekannten Parallelwelt, die uns zum Tanzen, Feiern und Träumen einlud, die uns miteinander verband und die uns das Gefühl gab, genauso hip zu sein wie die hippsten Moderatoren der großen, internationalen MTV-Familie. MTV, das war nicht nur ein Sender einer neuen, selbstbewussten Generation, sondern auch ein Sender der Innovation: Charts- und Awardshows, dazu Musikclips Tag und Nacht – das gab’s noch nirgendwo davor. Man war ganz nah dabei bei seinen Stars, konnte sie sich plötzlich ins Wohnzimmer holen.

Ganz nah dabei sein bei den Stars, das war auch von Beginn an das Motto der 1989 gestarteten Reihe „MTV Unplugged“. Das Konzept war so simpel wie genial: Etablierte KünstlerInnen geben vor einem ausgewählten Publikum in Club-Atmosphäre (im Gegensatz zum Stadien-Charakter ihrer sonstigen Performances) akustisch ihre größten Hits sowie Coverversionen zum Besten, gerne mit Unterstützung befreundeter anderer Musiker. Die heute beinahe vollkommen in Vergessenheit geratene Band Squeeze waren die ersten, die sich vollkommen „unverstärkt“ ihren Fans präsentierten, ihnen folgten in den darauffolgenden Jahren Superstars wie Nirvana, Mariah Carey, Paul McCartney, Eric Clapton, Alicia Keys, Katy Perry (wer hatte denn bitte diese Idee?!) oder auch Herbert Grönemeyer und die Fantastischen Vier. Das Format ist heute Kult – weil im Rahmen der Konzertreihe das zusammenkommt, was zusammengehört: Musiker, die pur und unverfälscht ihre Songs spielen und Fans, die Musik hautnah und direkt erleben können. Und wohl auch, weil das Format an eine Zeit erinnert, in der es noch cool war, MTV zu gucken. Ganz ohne Fremdschämen.

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Vielleicht wirkt Johannes Strate, Deutschlands sexiester Sänger, begnadeter Songwriter, mein zukünftiger Ehemann und Frontman der deutschen Erfolgsband Revolverheld, beim Auftaktsong „Bands deiner Jugend“ deshalb etwas nervös. Vielleicht haben Revolverheld in den vergangenen Monaten deshalb „mehr geprobt als in den gesamten Jahren davor“. Vielleicht liefen die Jungs in der Hamburger Friedrichs-Ebert-Halle am 9. und 10. April (!) deshalb aber auch zu Höchstform auf und lieferten an diesen beiden Abend nicht nur die besten Konzerte ihrer bisherigen Karriere ab, sondern der gesamten deutschsprachigen Pop-Geschichte. Weil sie an diesen Abenden ein Unplugged-Konzert gaben. Für MTV. Und nun Teil des „MTV Unplugged“-Formats sind. Als erst/bereits elfter deutscher Act. Nun gibt es das Konzert in Form eines Doppel-Albums sowie einer Doppel-DVD im Handel zu kaufen. Zum Immer-Wieder-Genießen. Zum Sich-Ins-Wohnzimmer-Holen, unsere Helden. Ganz im ursprünglichen MTV-Geiste eben.

Helden wie Du und Ich

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Die „Unplugged“-Reihe scheint für Revolverheld wie geschaffen zu sein: Während sich MTV bis zur Unkenntnis von seinem Ursprung entfernt hat und sich heute selbst ad absurdum führt, sind die Hamburger Jungs Johannes, Kris, Niels und Jakob seit ihrer Gründung vor 13 Jahren (!) dieselben geblieben. Obwohl sie sich vor allem in den letzten zwei Jahren als eine der erfolgreichsten deutschen Acts etablierten, punkten sie bei öffentlichen Auftritten, Interviews und Konzerten mit – authentischem! – bodenständigem, „Jungs von nebenan“-Charme. Ihre Live-Auftritte sind – und da machen auch die „Unplugged“-Abende keine Ausnahme – Pop-Rock-Wir-sind-alle-Freunde-Konzerte. Auf der Bühne stehen Alltags-Helden – oder Helden aus dem Alltag -, ein bisschen wie Du und Ich, oder ein bisschen wie ein Du und ein Ich, das wir gerne sein würden. Zwar sehr gutaussehend, aber keine Models (bis auf Strate, eh klar!) singen sie Texte, die aus dem Leben gegriffen sind und Songs, die perfekt zwischen Party, Ballade und irgendwas zwischendrin pendeln – und schon ist die Verbundenheit mit dem Publikum hergestellt. Da oben, vor uns hingerissenem Publikum, stehen Jungs auf der Bühne, die abrocken, die herumhüpfen, die lachen, die in sich gehen, die ihre Meinung sagen, die auch mal auf übertrieben auf cool machen, die Selbstironie beweisen – und die einfach nur ihren Spaß haben. Spaß, den Johannes und Co. seit Bandengründung nicht verloren haben. Und während wir sie schon längst als unsere Helden, als neue Helden von morgen feiern, scheinen es die Jungs selbst bis heute nicht ganz zu fassen dass ihnen tausende von Fans im Altersspektrum von 6 bis 40 zujubeln. Die wollen doch einfach nur Spaß haben. Mit ihren Songs, die sie irgendwann geschrieben haben, als sie in den Semesterferien unterwegs nach Schweden waren.

Ein Konzerterlebnis in 3 Akten

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„Revolverheld – MTV Unplugged“ kommt in 3 Akten daher (während derer sich sogar das Bühnenbild leicht abändert und die jeweils von manchmal bissl gar erzwungenen philosophischen Worten eröffnet werden) und bleibt dem bisherigen Motto der Jungs treu: Immer in Bewegung soll man bleiben, das Weg ist das Ziel, obwohl man dann doch, so zwischendurch in unserer hektischen Welt, auch mal inne halten und in sich selbst hineinhorchen solle. Fernweh und die Melancholie vergangener Jugendtage mischen auch diesmal mit, aber immer gepaart mit Spaß und einer Lässigkeit, die niemals erzwungen wirkt – und das, obwohl jeder Takt, jeder Ton perfekt getroffen wird (okay, wurde ja auch reichlich geprobt …). Johannes und Co geben uns tatsächlich das Gefühl, einen gemütlichen Abend in der Kneipe nebenan zu verbringen. Irgendwo zwischen Vergangenheit und Zukunft lebt Revolverheld mit ihrer Gefolgschaft einfach den Moment, irgendwo zwischen Selbstreflexion und Selbst-Verkenntnis. Vor allem aber sorgen sie für einen unvergesslichen Abend. Für Momente, die ihnen und uns keiner nehmen kann.

Alte Hits in neuem Gewand

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„MTV Unplugged“ lebt natürlich vom frischen Gewand, in denen die bereits so bekannten Songs der KünstlerInnen daherkommen. So ganz ohne E-Verstärker, E-Gitarre oder sonstigen Schnickschnack, der laut ist und Getöse macht. Das bringt frischen Wind in die manchmal bereits etwas ermüdende Sache – und das ist bei Revolverheld nicht anders: Begleitend mit unter anderem Klarinetten, Trompeten, Querflöten, einem Klavier, Trommeln, mehreren Gitarristen, einem Streicher-Ensemble (bei der DVD-Aufzeichnung wurde übrigens besonders darauf geachtet, die einzelnen Instrumente perfekt in Bild zu setzen – gut so!), Background-Sängerinnen und sogar einem (sexy!) Männerchor greifen die Jungs in die Vollen und präsentieren uns zum Teil vollkommen neue Versionen ihrer Hits, die an diesem Abend eine Art Best-Of ihrer Bandgeschichte darstellen (weshalb ich mich einmal mehr frage: Wieso wurde auch diesmal auf den früheren Hit „Mit dir chilln“ verzichtet?! Gerade in der chilligen Unplugged-Atmosphäre hätte sich dieser Song mehr als gut gemacht). Das tut der Band besonders gut, da Revolverheld – trotz allem Talent – nicht dafür bekannt sind, bei Live-Auftritten ihre Songs in abgewandelter Version auf die Bühne zu bringen, wie es andere KünstlerInnen gerne mal tun.

Interessant, wenn auch logisch: Während es bei ihren regulären Konzerten die ruhigen (zum Teil ebenso akustisch vorgetragenen) Nummern wie „Ich lass für dich das Licht an“, „Halt dich an mir fest“ oder „Deine Nähe tut mir seh“ sind, die zu den Highlights zählen, sind es hier jene Songs, die durch das Unplugged-Format ein neues Gesicht bekommen. Wer erwartet bei „Immer in Bewegung“ schon ein Klarinetten-Solo? Bei „Hamburg hinter uns“ einen Männerchor? Oder bei „Lass uns gehen“ eine Trommel-Einlage? Oder kann man sich die Auszuck-Songs „Darf ich bitten“ und „Ich werde nie erwachsen“ tatsächlich gänzlich akustisch vorstellen?! Da hat sich sich die Band und deren Team ordentlich was einfallen lassen.

Ein Abend unter Freunden

Revolverheld - MTV Unplugged - Konzert in 3 Akten

Und dann sind da natürlich noch die zahlreichen gelungenen Gastauftritte befreundeter KünstlerInnen, wie zum Beispiel Annett „Engelsstimme“ Louisan (mit deren Hilfe die Außenseiter-Hymne „Spinner“ plötzlich zum verträumten Chanson wird), Rea Garvey, Das Bo oder Mark Foster, die dem jeweiligen Song ihre ganz eigene Note geben, sich aber niemals in den Vordergrund drängen. Strates Stimme harmonisiert mit jedem einzelnen von ihnen – sogar Marta Jandová, die ich bei „Halt dich an mir fest“ ansonsten eigentlich als unangenehmen Störfaktor empfinde, legt an diesem Abend so viel Schmerz und Gefühl in den Song wie niemals zuvor und gliedert sich mühelos in die ohnehin zahlreichen Highlights des Abends ein.

Kurz: „MTV Unplugged“ ist ein verdienter, fulminanter Ritterschlag für Revolverheld, die hiermit einmal mehr bewiesen haben, dass sie auch in den nächsten Jahren immer in Bewegung sein werden. Übertreffen werden sie dieses Konzert so schnell allerdings nicht können.

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 Bilder:  (c) Tim Kramer, Sony Music

 

 

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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