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Published on Juli 20th, 2014 | by Manuel Simbürger

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Spice Girls und Dadaismus. Oder: Dada-Spice

Hallo, mein Name ist Manuel. Und ich bin Spice Girls-Fan. Ich bekenne mich dazu (denn das ist schließlich der erste Weg zur Besserung), ich sehe dem Gräuel in die Augen und ich verleugne es nicht mehr. Auch nach all den langen, langen Jahren finde ich die Gewürzmädchen super. Das hat angefangen zu Beginn der Pubertät, als ich zusammen mit meiner Schwester ganze Nachmittage damit verbrachte, Spice-Konzerte nachzuspielen (gebt zu, das habt ihr auch getan!), nachdem wir alle ihre Choreographien, alle ihre Lieder auswendig gelernt hatten. Ich wollte – natürlich – immer Geri und Victoria sein, wie wahrscheinlich alle schwulen Buben damals. Und die Begeisterung hält bis heute an, auch wenn ich zwar nicht mehr ein Mädel sein will, aber immer noch wohlig-melancholisch seufze, wenn ich einen Spice-Song im Radio oder auf meinem iPod (ja, sind immer noch alle drauf!) höre. „Das war noch richtig guter Pop“, denke ich mir dann, während ich auch schon, immer noch mühelos, all die Songtexte auswendig mitsinge und sofort begeistert die Choreographie zum Hammer-Song „Stop“ tanze, die meine Meinung nach genauso sehr Kultstatus verdient hätte wie all das Ketchup Song-, Macarena- und Gangnam Style-Getanze.

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Dieses Jahr habe ich sogar was zu feiern. Ich darf heuer zusammen mit meinem immer noch in mir drin schlummernden Spice Boy anstoßen. Denn vor genau zwanzig Jahren wurde die coolste Girl Group ever. Ever. EVER. gegründet, damals noch unter dem Namen Touch. 1996 dann ließen sie „Wannabe“, das weibliche Pendant zum „Bro before Hos“-Lebensmotto, auf die Welt los. Und mit was für einer Wucht! Zwischen 1996 und 2000 verging keine Woche, kein Tag, an dem wir nicht von Mel B, Mel C, Victoria, Emma und Geri hörten. Sie beherrschten die Charts, die Werbungen, irgendwann dann auch die Kinoleinwand und natürlich allen voran die Boulevardpresse: Emma hat sich auf ihren zu hohen Plateauschuhen den Knöchel gebrochen! Geri hat Prince Charles auf den Po geklatscht! Victoria heiratet ManU-Star David Beckham (ja, so hat alles angefangen…)! Mel B geht Patrick Lindner an die Wäsche! Geri hat sich nackt fotografieren lassen! (Zu Sporty fällt mir gerade keine Schlagzeile ein, was kein Wunder ist, denn die war ja immer bisschen langweilig, trotz endgeiler Sneakers).

Damals war ich fasziniert von all der Buntheit, der Lebensfreude und den so schön zum Mittanzen geeigneten Songs, die die Spice Girls uns Verehrern schenkten. Es gab einfach keine cooleren Mädels als Geri und Co. Heute blicke ich mit erwachsen-abgebrühten Blick zurück und behaupte, auf ganz intellektuell: Die Spice Girls sind zurecht die bis heute erfolgreichste Girl Group der Welt (abgesehen von Destiny’s Child. Und TLC, angeblich. Aber egal.). Und heute erkenne ich den Grund, verstehe, warum die gesamte Welt Ende der 90er im Spice-Fieber war und, man sieht es an den diversen Ohnmachtsanfällen vieler Fans, wenn sich die Mädels ab und an wieder mal zusammentun, um alte Zeiten aufleben zu lassen, immer noch ist: Die Spice Girls waren nichts anderes als Anhänger der Kunstrichtung Dadaismus. Nicht bloß Anhänger, nicht bloß Fans, sie verkörperten Dadaismus in Präzession, pointierter als jeder andere Popstar, der nach ihnen kam (nimm das, Gaga!).

Jetzt schaut ihr wahrscheinlich alle skeptisch und lacht mich „Dada Spice“, mich Spice-Nerd, wahrscheinlich aus. Aber ich kann meine Spice-Dada-Theorie beweisen. Passt auf:

  1. Dadaismus richtete sich gegen veraltete gesellschaftliche und kulturelle Strukturen, indem sie sie aufzubrechen versuchten.Die Message der „Girl Power!“ verbreiteten die verrückten Gewürzmädels in die ganze Welt, wohl gemerkt in einer Zeit vor dem Internet, vor Smartphones, vor 9/11 und vor all der Abgebrühtheit des heutigen Popbusiness. Mädchen Kraft! Mädchen an die Macht! Genau das machte die irre Magie der Spice Girls aus. Sie wollten sich nichts sagen (die Mädels haben am Höhepunkt ihrer Karriere sogar ihren Manager gefeuert!), sich für niemanden verbiegen lassen, standen ein für Freundschaft und Liebe. Feministisch betrachtet mag das nicht der komplexeste Überbau sein, aber deshalb ist er nicht unfeministisch. Die Spice Girls waren und sind bis heute die schrillsten, buntesten, sexiesten und ehrlichsten Feministinnen, die das Popbiz (und die Welt?) je geboten bekam. (Nimm das nochmal, Gaga! Und du auch, Lady Bitch Ray!) Sie wehrten sich gegen die damals ausufernde Boygroup-Hysterie und stellten klar, dass Mädels mindestens genauso sehr wissen, was sie wollen und wie sie es bekommen, wie Jungs. Man denke nur an das männermordende Domina-Video zu „Say you’ll be there“. Und während Britney identitätsverwirrt „I’m not a girl not yet a woman“ singen musste, nannten die Spicies bereits Jahre zuvor das Ding beim Namen: „Come a little bit closer baby,  get it on get it on, ’cause tonight is the night, when two become one!“

2. Die Kunst der Dadaisten ist eine Kunst des Nonsens, sozusagen eine Antikunst.  Der Dadaismus definiert praktisch alles zur Kunst. Auch satirische Elemente und Überspitzungen sind wichtige Bestandteile des Dadaismus.

Ging es bei der Spice-Welteroberung um Kunst? Natürlich nicht. Geri, Emma, Victoria, Mel B und Mel C machten nie ein Geheimnis daraus, vor allem berühmt werden zu wollen (und wenn dabei ein bisschen Feminismus im Spiel ist, schadet das natürlich auch nicht!). Die Entstehung der zusammengecasteten Band war von Beginn an bekannt, also nichts mit Schulfreundinnen und üben in der Garage, bis der Erfolg kommt. Hinter den Mädchen stand immer eine wahnsinnig große Maschinerie (die Maschine spielt bei den Dadaisten aübrigens auch eine große Rolle, aber ich will euch ja nicht langweilen!), an der sich sogar die Marke Britney, Katy und vielleicht auch Beyonce ein Beispiel nehmen können. Mit großer Kunst hatte das kunterbunte Mädchentreiben nichts gemein, aber das musste es ja auch nicht. Geri und ihre Freundinnen hatten Spaß, und wir hatten Spaß mit ihnen. Nicht zu vergessen die herrlich überspitzte Selbstironie, die im grenzgenialen Trash-Movie „Spiceworld. The Movie“ gipfelte. Nur nicht zu ernst nehmen, hieß die Spice-Devise, weder sich selbst noch die Welt da draußen.

  1. Dadaismus experimentiert fernab jeder Logik und Vernunft mit allerlei Techniken und AusdrucksformenBei den Bühnenauftritten werden bruitistische Konzerte und groteske Tänze sowie Gedichte aus inkohärent zusammengefügten und sinnlosen Wortfetzen, von absurd kostümierten Menschen dargeboten.

Damn, waren die Mädels witzig auf der Bühne. Eigentlich konnte nur Sporty (und vielleicht noch Scary) so richtig gut singen, aber scheiß drauf, wen kümmerte das schon? Die Performances der Mädels waren ein kunterbunter Mix aus Kindergeburtstag, Psychoklinik und Clowns-Diven-Orgie. Von Choreographie war zumindest in den Anfangszeiten nicht viel zu sehen, im Grunde rannten und hüpften und krochen und wackelten da fünf ganz schrill angezogene Mädels über die Bühne und machten sich zum Affen (auch wenn die Bühnenshows, das möchte ich hier als Bewunderer doch sagen, sich im Laufe der Zeit wirklich gebessert haben). Sinnlose Wortfetzen á la „Zig-a-zig-aaahh!“, „Swing it! Shake it! Move it! Make it!“ oder natürlich „Slam it to the left if you’re havin’ a good time! Shake it to the right ff ya know that you feel fine! Chicas to the front! Ha ha (uh uh)! Hai Si Ja! Hold tight! La la la la la la la la la“ wurde in den Mix beigemischt, dazu kamen so lustige und bis heute kultige Outfits wie der Union Jack-Dress, Leopardenprint-Gesamtanzüge und meterhohe Plateauschuhe. Damn, I miss the Nineties. Übrigens: die Lyrics der Spice Girls wurden von irgendwelchen britischen Experten Ende der Neunzigerjahre zu den „schlechtesten Popsong-Lyrics aller Zeiten“ gewählt. Die Typen waren bestimmt Kulturbanausen und hatten einfach nur keine Ahnung von der Dada-Kunst.

 4. Alltägliche Gegenstände werden bei Dada auf kindliche Art und Weise und mit kindlicher Naivität in Kunstobjekte integriert bzw. selbst zu Kunstgegenständen.

Kannst du dich noch an all die lustig-süßen Werbespots erinnern, die die Gewürzmädels extra für uns kreierten und die so schön in den Werbepausen von „Beverly Hills, 90210“ und „Melrose Place“ (again: DAMN, I miss the Nineties!) zu sehen waren? Die Spicies machten ja alles zu Geld, was sie in die perfekt manikürten Finger bekamen, sei es mit Lollis, Polaroid-Kameras, Perfums oder Pepsi. Und all diese Fanartikel wurden zu Kult, durften in keinem Kinderzimmer fehlen (hey, ich habe bis heute mein Spice Girls-Riesenlineal!). Manchmal gab es dazu sogar ein eigenes Liedchen, wie zum Beispiel „Move Over“, dem wirklich freaky-spacigen Pepsi-Song. Lollis oder Fotoapparate wurden also plötzlich zu Kult und unweigerlich mit einem bestimmten Künstler verbunden.

  1. Dem Dadaismus ging es um das Durcheinander verschiedener Stilmittel.

Diesen Punkt habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben, obwohl er eigentlich der wichtigste „Dada Spice“-Aspekt ist. Ist euch schon mal aufgefallen, dass die Spice Girls Song-technisch wirklich (fast) alles ablieferten, was ging? Ob nun Mittanz-Pop, Feministen-Hymne, R&B, Rap, Disco, Old School oder Power-Balladen – ihren drei („Forever“ war das wohl am meisten unterschätzte Album des Jahres 2000!) Alben konnte man vieles vorwerfen, nur nicht Langeweile. Abgesehen von der musikalischen Diversität verkörperten natürlich die Mädels selbst so wahnsinnig verschiedene Stile und Persönlichkeiten, dass sich sowohl Mauerblümchen als auch Frühreife in ihnen wiederfinden konnten (in anderen Worten heißt das: perfektes Marketing!): Geri („Ginger“) war die sexy Hilde, Vicky („Posh“) die Fashion-Bitch aus gutem Hause, Emma („Baby“) die süße Jungfrau, Mel B („Scary“) das unerzogene „Ich hau dir gleich eine rein!“-Mädel und Mel C („Sporty“) die Sport-Fetischistin. Mädels hatten also reichlich Identifikationsmaterial und Jungs reichlich Wixmaterial. Und alle ließen unterschiedliche Musik-Stile in die Band einfließen: Rap (Mel B), Rock (Mel C), Pop (Emma), Latin (Geri) und Un-Talent (Victoria).

Für mich das Beeindruckendste der Spice Girls war und ist aber bis heute, dass die Mädels inmitten ihrer knallbunten Bubblegum-Welt (ach ja, genau, für Kaugummi machten die Guten auch Werbung!) nie eine Rolle spielten, immer sie selbst waren. Das weiß man heute besser denn je: Victoria hat Gesangskarriere gegen Modetalent (und bürgerlichen Ehemann) getauscht, Mel B sagt immer noch, was sie denkt (seht euch mal ihre Reality-Show „It’s a scary world“ an!) und Geri fristet auch heute noch ein mehr oder weniger glückliches Feministinnen-Dasein. Nur Mel C war so sporty, weil sie eine erhebliche Essstörung hatte. Nur, das möchte ich eigentlich gar nicht wissen. Wollen wir alle nicht wissen. Bloß nicht zu viel Schwarz in die schrille Spice-Farbenwelt.

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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