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Published on April 20th, 2013 | by Manuel Simbürger

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Wenn Journalismus zur Zensur wird

Die „New York-Times“ weigert sich, Interviews freigeben zu lassen. Gut so. Denn Journalismus sollte durch Zensur nicht eingeschränkt werden.

Die New York Times, eine der renommiertesten Zeitungen der Welt, hat einen Vorstoß im Journalismus gewagt: In einer Presseaussendung kündigte sie an, ab nun Interviews abzulehnen, wenn von Agenten, Interviewten oder sonst wem eine Freigabe vor Veröffentlichung gefordert wird. Sprich, wenn es sich bestimmte Leute herausnehmen, Fragen zu streichen, Antworten umzuschreiben, neue Fragen zu erfinden. Oder, noch besser, wenn vorm Interview eine Einsicht in die Fragen des Journalisten gefordert wird. Nein, danke, sagt die NY Times, da machen wir nicht mehr mit.

Bitte kein Marketing…

Gut so. Wäre schön, wenn diese Ausnahme zur Regel in der Medienwelt werden würde. Denn eine Freigabe eines Interviews (oder auch, wenn es sich nur um einzelne Zitate handelt), hat oft nichts mehr mit (Qualitäts-)Journalismus zu tun, sondern grenzt an zielorientiertes Marketing. Der neue Film, die neue CD soll mehr beworben werden, zu diesem oder jenem Thema wolle man sich doch nicht äußern, auch wenn man es im direkten Gespräch eigentlich schon getan hat. Dass es sich bei den gestrichenen Fragen fast ausschließlich um die interessantesten des gesamten Gesprächs handelt, zum Beispiel um Politik oder Medien-Macherei des Heimatlandes, versteht sich von selbst.

Ich meine: Will sich ein Promi zu einem bestimmten Thema nicht äußern, ist das sein gutes Recht. Genauso wie es das gute Recht des Journalisten ist, bekommene Antworten abzudrucken, seien diese auch noch so unangenehm oder aneckend. Denn eigentlich gilt: Hat man im Interview etwas gesagt, kann man es nicht mehr zurücknehmen. So mancher Promi sollte sich eben vorher überlegen, zu welchem Thema er den Mund aufmachen und zu welchem er lieber schweigen möchte.

…und schon gar keine Zensur!

Denn nachher einen Rückzieher zu machen, ist gezielt ausgeübte Zensur. Eine Einschränkung der Pressefreiheit. Wir Journalisten sind keine Monster. Wenn uns etwas in einem Gespräch mit den Worten „off-topic“ anvertraut wird, werden die wenigsten von uns diese „Geheimnisse“ trotzdem veröffentlichen. Arbeitet man bei Medien mit einem hohen Niveauanspruch, möchte man seinen Interviewpartnern im Normalfall kein Bein stellen (außer, es handelt sich um Politiker). Aber trotzdem sind wir es den LeserInnen gegenüber verpflichtet, interessante Geschichten mit Wahrheitsgehalt abzuliefern. Und dass die Wahrheit unter Zensur leidet, das muss nicht extra erwähnt werden.

Halb-warm und halb-wahr

Ich weiß, wovon ich spreche. Als ich es vor vielen Monaten in einer dieser Kolumnen wagte, die PR-Maschinerie eines berühmten (und inzwischen aufgelösten) deutschen Pop-Duos aufzudecken, war kurz darauf der Bär los. Manager wüteten, die Plattenfirma auch. Sowas könne man doch nicht machen. Alles müssten die Fans dann doch nicht erfahren. Und mir wurde Druck gemacht, die Story wieder offline zu nehmen.

Stimmt, das sind Ausnahmefälle. Dass sich veröffentlichte Interviews von jenen Gesprächen, die man tatsächlich geführt hat, oftmals drastisch unterscheiden, leider nicht. Die Leidtragenden sind nicht nur die Journalisten, deren Kompetenz dadurch in Frage gestellt wird, sondern auch die LeserInnen, die mit halb-warmen und halb-wahren Stories abgefertigt werden.

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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