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Published on August 22nd, 2016 | by Manuel Simbürger

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Wieso Britneys neues Video Pop-Feminismus vom Feinsten ist

Das Internet ist aktuell von davon: Am 26.8. erscheint das neue, lang erwartete Album von Miss Britney Spears. Während Kolleginnen wie Christina Aguilera oder Lady Gaga auf ihre neuesten musikalischen Ergüsse in Silberscheibenform auf sich warten lassen und man irgendwie das Gefühl hat, dass sogar die Chance, das Christkind zu Gesicht zu bekommen, größer ist, hat Britney-Bitch sich in den letzten Monaten brav hinters Studiomikro geklemmt und ein Album aufgenommen, das angeblich den Superstar erneut in seiner einstigen Glorie zeigen soll. Weshalb das Album dann auch, ähm, „Glory“ heißen wird. Weil das Subtile, das war noch nie eine von Britneys Stärken.

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Apropos subtil: Auch das Musikvideo zur gelungenen ersten Singleauskopplung „Make me“ (endlich ist Britneys Stimme wieder als solche erkennbar und nicht durch Computereffekte bis zur Unmenschlichkeit verzerrt) war den Plattenfirmenbossen zu freizügig, zu direkt, zu wenig Zwischen-den-Zeilen. Denn, oh mein Gott: Britney ist im Clip halb bekleidet zu sehen, wie sie sich aufreizend zum Sound des auch nicht gerade keuschen neuen Songs bewegt. Aber nicht nur das: Die ehemalige Pop-Virgin zeigt sich beim erotischen Infight mit einem ebenso textilscheuen männlichen Halbgott, zwischen den Laken geht’s heiß her. Zu viel für die prüde Management-Etage bei Jive Records: Das Video wurde verboten und durch einen hastig und halbherzig zusammen geschusterten neuen Clip ersetzt. Aber: Don’t mess with Britney-Bitches-Fans! Die riefen nämlich aus Ärger, dass ihnen ein Musikclip vor die Nase gesetzt wurde, der eher Fan-made aussieht als nach offiziellem Comeback-Video, eine Online-Petition ins Leben, die die Veröffentlichung des Original-Clips forderte. Weil, sind wir uns ehrlich: Ärger als das, was Britney auf der Las Vegas-Bühne zeigt (und was wir sowieso schon seit Jahren von ihr kennen), kann das Video auch nicht sein. Und, siehe da: Die Großen kuschten vor den Kleinen und gaben das Video der Öffentlichkeit preis.

Und wir alle so: Whaaaat?!

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Vielleicht waren es aber auch gar nicht Britneys sexy Dancemoves und das Herumwälzen im Bett, das die Jive Records-Bosse so erregte (pun intended!), sondern eher die Tatsache, dass Britney im Clip Geschlechterrollen nach allen Regeln der Pop-Kunst über Bord wirft: In “Make me…” degradiert sich Spears nicht selbst (wie in „I’m a slave for you“) oder gar Frauen im Allgemeinen zu begehrten Sexobjekten, sondern es sind die Männer, die vor den Augen der Sängerin und deren Tänzerinnen die Hüllen fallen lassen und sich, sagen wir es frei heraus, auch ganz schön zum Affen machen, um im Video einen Auftritt haben zu dürfen (Mission accomplished!). Halbnackt tanzen sie vor der kreischen Mädelsmenge und tun alles, um Powerfrau Britney, die die Zügel in der Hand hat, zu verführen. Es ist Britney, die mit dem Sportwagen, das klassischste aller Phallus-Symbole, vorfährt und von einer begeisterten Jungmänner-Schar erwartet und begehrt wird. Sie ist es, die keinen Hehl daraus macht, die hier anwesenden Kerle nur wegen ihres Körpers zu begehren:

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Muskelmann: Vor männlichen Klischees wird in “Make me…” nicht zurückgeschreckt

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Die Männer im Musikvideo haben nur einen Job: Britneys Schaulust und Begierde zu stillen

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Gegen Ende des Clips scheint Britney alle gesellschaftlichen Tabus zu brechen, wenn sie als Frau es ist, die dem Klischee der Castingcouch alle Ehre macht und einen der sexy Boys ohne viel Worte ins Hinterzimmer abschleppt – und sich beim Sex mit ihm auch noch filmen lässt! Britney bestimmt selbst über ihre Sexualität, fühlt sich in ihrer Haut wohl und lässt ihre Freundinnen (und nebenbei die ganze Welt) dabei teilhaben. Sie nimmt der Kamera die gaffend-voyeuritische Macht über sich, indem sie sich selbst bewusst und offen vor der Linse präsentiert und keinen Zweifel an ihrer Lust nach Sex lässt. Eine starke Message, die noch mehr an Bedeutung gewinnt, wenn man bedenkt, dass Britneys Karriere auf ihrem Jungfrauen-Image aufbaute und fast daran zerbrach, als diese Lüge aufflog.

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In „Make me…“ ist es das sogenannte starke Geschlecht, das dem erotischen Blick der Kamera ausgesetzt ist, das auf seine körperlichen Attribute reduziert wird – eine Rolle, die bis heute in Musikclips meist den Frauen zufällt. Man spricht hier auch vom „male gaze“, ein Begriff, der ursprünglich aus der Filmtheorie stammt und den aktiv-männlichen, kontrollierenden und neugierigen Blick des Mannes (sprich: der Kamera) auf die Frau beschreibt, die somit nur noch als rein sexuelles Wesen wahrgenommen wird. In “Make me…” ist es Britney, deren Blick unverhohlen voyeuristisch ist. Der “male gaze” wird zum “female gaze”:

"Female gaze": Britneys Blick auf den männlichen Körper ist unverhohlen voyeuristisch

“Female gaze”: Britneys Blick auf den männlichen Körper ist unverhohlen voyeuristisch. Der Sportwagen am Rand des Bildes, eigentlich klassisches Phallus-Symbol, gehört der Sängerin.

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Männer als Sexobjekte: IHRE lüsterner Blick auf SEINEN Körper. SEIN Gesicht ist gar nicht zu erkennen, Persönlichkeit ist nicht gefragt. Objektifizierung bedeutet das Reduzieren der Person auf ihre Körperlichkeit.

Kurz: Das Konzept der superschlanken und getunten Bikini-Babes, die sich lüstern um den Macho-Sänger tümmeln, kennen wir zur Genüge. Clips, in denen die Geschlechterrollen umgekehrt werden und sich die Frau selbstsicher, dreist und ohne zu zögern das nimmt, was sie will und braucht, und in denen Männer nichts mehr sind als schöner Aufputz, an dem das weibliche Geschlecht ihren Gefallen findet, sind nach wie vor selten.

Selten, aber nicht unmöglich. Denn obwohl das grundlegende Konzept von Männern als Betrachtern und Frauen als Betrachtete nach wie vor gilt, gibt es immer wieder Sängerinnen und Girl Groups, die sich dagegen wehren, in die Schublade des Sexhäschens gesteckt zu werden. Ja, auch sie zeigen sich in ihren Musikclips von ihrer sexy und meist textilbefreiten Seite, auch sie spielen mit ihren Reizen und ihren weiblichen Attributen, sind dabei aber selbstbestimmt und haben im Video auch meist die Macht über die Männerwelt, die ihnen halbnackt zu Füßen liegt. Auch das bedeutet Feminismus.

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Lange vor Veröffentlichung des Clips twitterte Britney einen Backstage-Schnappschuss des Videodrehs. Britney nimmt die Rolle des Macho-Sängers ein, um den sich halbnackte Statisten tummeln.

Zu Ehren des neuen Britney-Videos hier eine kleine Auswahl von Musikvideos, in denen Männer zu Sexbobjekten degradiert werden (und dabei nicht selten sichtlich Spaß haben):

 Jennifer Lopez: “I Luh Ya Papi”

Jennifer Lopez macht den Female Gaze gar zum Konzept des gesamten Clips.

Mariah Carey: Infinity

Wenn Tyson Bickford und Jussie Smollett die Nase vor der Tür zugeknallt wird, befindet man sich sicher in einem Mariah Carey-Video. Objektifizierung mal auf harmlos-verspielte Art.

Christina Aguilera: “Your body”

Warnung, bevor Aguilera losträllert, Männer reihenweise killt, und klarstellt, dass sie nur am Körper ihres Gegenübers interessiert ist: “No men were harmed in the making of this video.” Na, wenigstens.

Spice Girls: “Say you’ll be there”

Girl Power in Reinkultur: Wenn die Spice Girls als männerfressende Vamps die Wüste unsicher machen, werden halbnackte Kerle auf das Autodach geschnallt.

Toni Braxton: “You’re Makin’ Me High”

Erinnert stark an Britneys “Make me…”: Braxton plus Freundinnen bewerten männliche Schnittchen erbarmungslos aufgrund ihres Körpers. Plus: Tyson Beckford.

Fifth Harmony feat. Ty Dolla $ign: “Work From Home”

Hier ist die Objektifizierung wohl ziemlich gleichberechtigt auf beide Geschlechter aufgeteilt.

Ellie King: “Ex’s & Oh’s”

Verspielter Sexismus im klassischen Wüsten-Setting. King geht Männern unverfroren und furchtlos an die Wäsche.

Lady Gaga: “Alejandro”

Tragische Liebesgeschichte, visuell verstörend umgesetzt, inmitten eine androgyne Gaga, umzingelt von noch androgyneren Männern. Am Ende wird sie als Nonne Opfer einer Massenvergewaltigung. Das kann nur Gaga.

Diana Ross: Muscles

Wirklich jetzt. Ohne Scheiß. No kidding. Einfach anschauen. Diana Ross fliegt über Muskelberge. Da war jemand ihrer Zeit weit voraus.

Maddie & Tae: “Girl in a Country Song”

Sogar im konservativen Country-Genre ist eine Umkehrung der Geschlechterrollen zwischendurch erlaubt.

Nicki Minaj: “Super Bass”

Hier ist es mal nicht Minaj, die blank zieht (zumindest nicht für ihre Verhältnisse), sondern ein halbes Dutzend muskelbepackte Halbgötter.

Oliva Newton-John: “Physical”

Nicht überraschend, dass der Song zu einer Hymne unter schwulen Männern wurde.

Kelly Rowland feat. Big Sean: “Lay It on Me”

Alle Kerle in diesem Video haben nur eine Funktion: Rowland noch sexier aussehen zu lassen.

Marina & The Diamonds: “How to Be a Heartbreaker”

Fast der gesamte Clip spielt in einer Männer-Gemeinschaftsdusche. Und auch sonst scheinen die Kerle hier eine Textilallergie zu haben. Mehr muss nicht gesagt werden.

Kylie Minogue: All the loves

Nackt ist hier zwar jeder, dafür gibt’s obendrein gleichgeschlechtliche Küsse und Kylie als Sexgöttin, die über einen Haufen kopulierender Menschenleiber thront. Yes.

Ingrid Michaelson: “Girls Chase Boys”

Spiel mit Geschlechterrollen in Reinkultur.

Stellt sich zum Schluss die Frage: Sollten sich Menschen, egal ob Frau oder Mann, sich nicht a priori ausnahmslos als Subjekt darstellen und sich gegen jede Art von Objektifizierung wehren? Ganz so simpel ist es nicht. „Sexuelle Objektifizierung“ ist die Sicht auf Menschen als Objekt der Begierde. Die Person, die zum Objekt gemacht wird, wird nicht mehr als Individuum mit komplexer Persönlichkeit, Wünschen, Sehnsüchten, Ängsten, Stärken und Schwächen wahrgenommen. Dies geschieht, besonders in Bezug auf Frauen, indem ausschließlich über ihren Körper oder Teile ihres Körpers gedacht oder gesprochen wird. Objektifizierung ist nicht zu verwechseln mit sexueller Anziehung: Objektifizierung tritt nur auf, wenn die Individualität der begehrten Person nicht anerkannt und diese nicht als vollwertiger Mensch angesehen wird.

Soviel zur (feministischen) Theorie. Nur, Hand aufs Herz: Alle, die einen für sie sexuell anziehenden Menschen noch niemals, und sei es nur für kurze Momente, zum Objekt gemacht haben, mögen nun die Hand heben (und mir eine Nachricht zukommen lassen). Es gibt Situationen, in denen Sexualität nur auf das Körperliche bezogen ist, in denen Körperteile eine größere Bedeutung zukommen als einem hochkomplexen Geist – und das ist okay so, solange es beide Partner wollen. Objektifizierung wird meiner Meinung nach erst dann zum Problem, wenn es dem Gegenüber nicht bewusst ist, zum Objekt degradiert zu werden – oder darüber keine Kontrolle hat. Zum Mensch-Sein gehört das Spiel mit dem Sexuellen, mit den erotischen Attributen des eigenen Körpers dazu, es ist das Spiel des Erregens und Erregt-Werdens, des Begehrens und Begehren-Werdens, das genauso Teil unserer Sehnsucht nach zwischenmenschlicher Näher ist wie der Wunsch nach Geborgenheit.

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Es ist okay, wenn Beyonce, Christina Aguilera, Britney Spears oder Rihanna ihren Körper einsetzen, um Aufmerksamkeit zu erregen – weil sie es selbstbestimmt tun. Und weil es nur ein Teil der Rolle ist, die sie als Frau in der (popkulturellen) Öffentlichkeit bekleiden. Frauen wurden jahrzehntelang auf ihren Körper reduziert, als männlicher Besitz betrachtet – es ist Teil des neuen Feminismus, den Spieß umzudrehen und genau diesen Grund der Unterdrückung zu ihrem eigenen Vorteil, zu ihrer Empowerment zu nutzen (ein Prinzip, das auch der Queer Movement oder zum Teil der Black Movement zugrunde liegt). Wenn im Zuge dessen die Männer die Objektrolle übernehmen, hat das natürlich auch einen spielerischen Effekt, spiegelt aber auch die Veränderung des Mann-Seins in der Gesellschaft wieder: Viele Männer erleben es als Befreiung, sich sexy zeigen zu dürfen und auch als solches wahrgenommen zu werden. Auch das bedeutet für sie Gleichberechtigung: eine Rolle zu übernehmen, die bis vor wenigen Jahrzehnten nur den Frauen vorbehalten war. Wenn die Frauen das können, was wir tun, können wir das auch! Die Grenzen zwischen der gesellschaftlichen Bedeutung des Mann-Seins und des Frau-Seins verschwimmen immer mehr. Und wenn es nur in einem Musikvideo von Britney Spears oder Jennifer Lopez ist. Es ist ein Anfang. Und einer, der keinem weh tut. Im Gegenteil.

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Bilder: Screenshots/YouTube, Jive Records

 

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



One Response to Wieso Britneys neues Video Pop-Feminismus vom Feinsten ist

  1. Under the Planet Hollywood sign a contortionist is hanging by her neck while everyone looks away from her towards Britney. The “Queen” poses for pictures, staring resentfully at the showgirls, so pretty in their feathers, so willing to be touched at their waists.

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