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Published on Juni 19th, 2013 | by Manuel Simbürger

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Wilfred: Elijah Wood ist auf den Hund gekommen

Ein Vater, der seine Kinder zwingt, sich alle Details anzuhören, wie er deren Mutter kennenlernte. Nerds, die die komplizierteste Wissenschaft, aber nicht die Welt verstehen. Ein alkohol- und sexsüchtiger Mittvierziger, der mit seinem Bruder und seinem Neffen zusammenwohnt. Verrückte Ärzte. Eine noch verrücktere Lehrerin, die in der wohl durchgedrehtesten WG der Welt lebt. Familienmitglieder, die alles sind, aber nicht normal.

Ja, Sitcoms und Comedys boomen. Hier ist alles möglich. Hier haben wir alles schon gesehen. Been there, done that.

Wirklich? Natürlich nicht.

You ain’t seen nothing yet. Zumindest nicht bis vergangenen Montag, als ProSieben das erste Mal die düstery Comedy „Wilfred“ ausstrahlte.

Kiffende Philosophie

Denn „Wilfred“ ist anders, spielt mit konventionellen Zuseher-Erwartungen und kommt als „Philosophenkomödie mit Kifferhumor“ daher, wie der Tagesspiegel so treffend formulierte. Denn die amerikanische Sitcom, die auf einer australischen Version basiert, erzählt vom lebensmüden Ex-Anwalt Ryan (Elijah Wood, der Frodo endlich abstreifen darf), der sich mit den Nachbarshund Wilfred (Jason Gann) anfreundet. Der Clou dabei: Er ist der einzige, der den frechen Köter als kiffenden und sexbesessenen Mann in Hundekostüm wahrnimmt – alle anderen sehen Wilfried als stinknormalen Hund.

Kann sowas funktionieren? Ja, es kann, zumindest mal in den ersten beiden Episoden, die ProSieben am Montag ausstrahlte, bezeichnender Weise erst um 23 Uhr. Angst, kein Massenpublikum mit der neuen Serie anzusprechen? Man kann den Unterföhringer Sender fast verstehen, denn „Wilfred“ ist alles andere als Maintream-Ware.

Schwarzer Humor vom Feinsten

Das zeigen zum einen die philosophischen Zitate, die einer jeden Episode voran gestellt sind. Zum Beispiel jenes von Mark Twain in der Pilotfolge (Zitate aus dem englischen Original): „Sanity and happiness are an impossible combination.“ Freilich setzt das bereits den Grundton für die Episode – nein, die gesamte Serie. Denn auch wenn die US-amerikanische Version um einiges weniger düster daherkommt wie sein australisches Original, so gibt’s hier keine Menschen, die glücklich sind, fröhlich durch die Straßen hüpfen, singen oder sich lachend über Beziehungen unterhalten. Hier geht’s um Menschen, die sich (wenn auch mit voller Leidenschaft) vom Leben nicht mehr viel erwarten oder sogar bereits mit ihm abgeschlossen haben – denn „Wilfred“ startet mit mehreren Suizidversuchen Ryans, die natürlich allesamt gründlich in die Hose gehen. Auch das folgende Zitat zwischen Ryan und seiner Schwester Kristen zeigt deutlich, dass happiness (noch?) nichts ist, was im „Wilfred“-Universum groß geschrieben wird:

Kristen: Would you think Dad is happy?
Ryan: No.
Kristen (beleidigt): Would you think I am happy?
Ryan (abwehrend, entschuldigend): No, never, no!
Kristen (schreiend): Right. Nobody’s happy, allright?!
Ryan (beruhigt): Okay, thank’s for the prep talk!
Kristen (lächelnd): You’re welcome!

Schwarzer Humor vom Feinsten. Das kennen wir bisher nur von „Six feet under“.

Mischung aus Labrador und Russell Crowe

Und Wilfred selbst? Der ist eine „Mischung aus Labrador und Russell Crowe, wenn er besoffen ist“, so Produzent David Zuckerman („Family Guy“, „American Dad“ – wird jetzt einiges klarer?!). Wenn Wilfred auf der einen Seite kifft, gute Ratschläge erteilt und Bier trinkt, zugleich aber auch dem Laserpointer nachläuft, ein Loch buddelt, in Schuhe kackt, die Kellnerin besteigt und dem Motorrad-Rowdie schreiend/bellend hinterher rennt, dann ist das, man kann es nicht anders sagen, saukomisch. Der Spaß ergibt sich natürlich nur, wenn dem Zuseher in jeder Minute bewusst ist, dass nur Ryan den Köter als menschliches Wesen sieht (Gann spielte Wilfred übrigens auch schon im australischen Original). Dass sich Ryans Mitmenschen trotzdem nicht daran stören, dass er mit einem Hund lautstark diskutiert und Bier trinkt, ist ein augenzwinkernder Seitenhieb auf unseren mittlerweile eingebürgerten Umgang mit Haustieren: Vermenschlichung bis zum Exzess. Aber irgendwann müssen auch Tiere Tiere sein:

Ryan: Shake on it.
Wilfred: Yeah, I never learned that trick.

Sprechende Tiere, die keine Tiere sind, aber eigentlich schon

Im Grunde genommen sind sprechende Stofftiere und Tiere, die bewusst als Menschen im Tierkostüm dargestellt werden (mir brummt der Schädel!), im TV und Kino nichts Neues, man denke allen voran an „Alf“, aber auch an „Donnie Darko“ (gruseligstes Bunny ever!), Mr. Floppy aus der 90er-Serie „Unhappily ever after“ und natürlich an „Ted“, der perverse Plüschbär, der Mark Wahlberg 2012 einen gigantischen Filmhit bescherte. Und tatsächlich haben alle diese Viecher etwas gemeinsam: Sie scheinen die Psyche des Protagonisten besser zu kennen als dieser selbst und stehen mit (ungewollten) Ratschlägen ihrem Herrl oder ihrem Frauchen jederzeit zur Seite. Hier lernt nicht das Tier neue Tricks vom Menschen, sondern der Mensch neue Tricks vom Tier.

Bei „Wilfred“ ist es nicht anders: Der schüchterne und depressive Ryan schafft es dank seinem tierisch-menschlichen Freund, langsam aber sicher die Welt neu zu entdecken und zu genießen. Zu lernen, was er sich vom Leben eigentlich tatsächlich erwartet. Ganz schön tiefgründig für eine Comedy. Aber genau das macht „Wilfred“ aus: die Serie funktioniert auf mehreren Ebenen. Natürlich kommt auch diese Comedy nicht ohne deftige Jokes unter der Gürtelline aus, Fäkalwitze sind Gang und Gäbe. Und doch ist der philosophische Hintergrund jederzeit spürbar. Denn: Wieso sieht Ryan das, was er sieht? Was oder wer ist Wilfred denn nun wirklich? Ist er Ryans Unterbewusstsein? Oder steckt doch ganz was anderes dahinter? Schon in der Pilotfolge lässt „Wilfred“ mit dem einen oder anderen tiefgründigen Dialog aufhorchen.

Wilfred (zu Ryan): „I am you. We are one mind.” (Pause)  “I’m just messing with ya.“

Oder:

Ryan (zu Wilfred): „You’re an animal.“
Wilfred: „We’re all animals, Ryan. And now stop thinking and throw me the ball.“

Erfolgreicher Start

Man darf also noch weiter um das Geheimnis der Serie grübeln. Dass das funktioniert und Zuseher an der Stange hält, hat schon „How I met your mother“ eindrucksvoll bewiesen. Auch „Wilfred“ kam von Beginn an beim Publikum gut an: In den USA ist auf dem Sender FX (“Sons of Anarchy”, “American Horror Story”) gerade die bereits dritte Season angelaufen, auch auf ProSieben startete die Serie (überraschend) gut und holte auf Anhieb in der jungen Zielgruppe einen Marktanteil von 14,8 Prozent.

Anscheinend ist nicht nur Elijah Wood auf den Hund gekommen.

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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