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Published on Juni 5th, 2016 | by Manuel Simbürger

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“Schau mir in die Augen”: Tiefer und tiefer und tiefer … sinkt das Niveau

„Tiefer und tiefer, fester und fester. Tiefer, ganz tief, sehr schön!”, sagt Jan Becker, Deutschlands bekanntester Hypnotiseur mit dieser ganz besonderen Frisur, die ihn irgendwo zwischen Teufel und Messias ansiedelt, immer und immer wieder am Samstagabend. Sehr schnell, sehr laut, immer erregter, fast so, als würde er den menschlichen Zustand die Tiefenentspannung auf einem Teleshopping-Sender verkaufen wollen. Und irgendwie auch so, dass man vor Scham willkürlich den Fernseher leiser macht, denn die Nachbarn könnten ja glauben, man ziehe sich in der Prime Time schon was rein, was eigentlich erst für die späteren Stunden gedacht ist.

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In der RTL-Event-Show „Schau mir in die Augen – Promis unter Hypnose“ versetzt Becker ganze drei Stunden lang Promis, die keine sind, in einen Trancezustand (oder vielmehr: Holt sie aus diesen Zustand rein und raus – und rein und raus und rein und raus und ….) und bringt sie so dazu, vollkommen verrückte und peinliche Dinge zu tun. Da glaubt Joey Heindle plötzlich, er sei nackt, Michaela Schaffrath ist plötzlich Fußball-Schiedsrichterin und äfft Moderator Oliver Geißen nach (dem wohl auch von Becker suggeriert wurde, ein guter und lustiger Host zu sein), Profitänzer Christian Polanc mimt den Wischmopp, Möchtegern-Designer kriegt seine Heulkrämpfe nicht unter Kontrolle, Walter Freiwald drängt sich vor die Kameras und irgendein Bierbauch-Träger, den ich noch nie in meinem Leben gesehen hab, glaubt, er sei ein bockiger Drei-Jähriger. Ach ja, Thomas Rupprath macht Trockensex mit einer Plastikpalme. Böse Zungen würden an dieser Stelle sagen, Becker habe den RTL-Verantwortlichen zuvor mental eingeredet, die Kandidaten seien echte Promis.

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„Alles ganz echt, wir beweisen es!“

Zugegeben, die Show bot kurzweilige Unterhaltung. Sie mochte zwar mit über drei Stunden zu lang und mit den zahlreichen Hypnose-Spielen, die Schlag auf Schlag aufeinander folgten, überfrachtet gewesen sein, aber DSDS oder „Deutschland sucht den Superstar“ hielten wir ja auch bereits viele Abende lang aus. Auf RTL gab es also bereits viel Schlimmeres.

Ärgerlich war das Ganze trotzdem: Denn anstatt ernsthafte Tiefenpsychologie, wie – haha! – suggeriert, wurde uns, eben ganz im RTL-Stil, eine scheinbare Scripted Reality vorgesetzt, welche das Publikum noch weniger für voll nahm als diverse Gerichts- oder Detektiv-Shows. Klar, Geißen und natürlich auch Becker selbst wurden nicht müde zu betonen, dass alles hier „sei wirklich kein Fake, das beweisen wir Ihnen, alles ist ganz echt!“ und – zugegeben – zwischendurch spielte man durchaus mit den Gedanken, dass alles hier sei tatsächlich eine interessante (RTL-)Feldstudie zur Frage, in wieweit unsere Gedanken die Realität formen, wie sehr wir uns selbst im Weg stehen und was wir anhand unseres Geistes eigentlich alles schaffen können. Denn dass Hypnose wirkt – zum Beispiel bei Angststörungen, Depressionen oder Psychsomatische Beschwerden – ist längt erwiesen. Es gibt auch Menschen, die nur dank einer Hypnostherapie von ihrer Nikotinabhängigkeit loskamen oder mit dem Verlust eines geliebten Menschen fertig wurden. Und wenn Rupprath es sich in einer Wanne mit Eiswasser so bequem macht, als hätte das Badewasser wohlige Temperaturen, dann staunt man schon mal nicht schlecht, zumindest im ersten Moment. Und auch, dass Becker tatsächlich Fähigkeiten hat, die die meisten von uns nicht haben, wurde bereits belegt: Unter der Leitung eines Neurowissenschaftlers wurde entdeckt, dass sein Talent, menschliches Verhalten vorherzusagen, einer Besonderheit seines Gehirns zuzuschreiben ist. Wenn er sich in andere hineinversetzt, arbeiten seine Spiegelneuronen auf Hochtouren.

Schau mir in die Augen - Promis unter Hypnose

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Dann erinnern wir uns aber an Uri Geller, der ja auch besondere Fähigkeiten besaß, bei seiner großen RTL-Show aber trotzdem schwindelte. Und trotz einiger „Könnte es doch ….?!“-Momente überwog das Fake-Flair den gesamten Abend über dann doch.

Scripted Reality statt Tiefenspychologie?!

Abgesehen davon, dass man mit Hypnose verantwortungsvoll umgehen und sie nicht für schnelle TV-Unterhaltung und vor allem das Vorführen von Menschen verbraten sollte, ist es doch sehr schwer vorstellbar, dass alle (!) Kandidaten die gesamte Aufzeichnung über problemlos immer wieder in tiefe Trancezustände versetzt werden können („Jede Suggestion ist wieder von dir genommen!“ . wir erinnern uns: rein und raus und rein und raus …). Da kann Becker noch so talentiert sein – eine Hypnose setzt tiefe Entspannung und Ruhe voraus und die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit vollkommen auf das eigene Innere zu lenken, nur den Hypnotiseur und das eigene Seelenleben wahrzunehmen. Das alles ist sehr schwer vorstellbar im Rahmen einer TV-Show-Aufzeichnung, die von Scheinwerfern, Kameras, einem lachenden und applaudieren (!) Publikum und einem innerlichen Spannungszustand, der solch einer Situation einfach geschuldet ist, geprägt ist – da kann Becker auch noch so talentiert und der allerbeste Mental-Einflüsterer der Welt sein. An einer Stelle des Abends wurde zwar auch das Publikum einbezogen – aber just jener Kandidat, der am besten auf Beckers Suggestionen ansprach (bzw. anzusprechen schien), saß an einer derart günstigen Stelle im Saal, die es im erlaubte, jederzeit auf die Bühne zu stürmen (und verliebt mit dem Bierbauch-Träger zu tanzen) und perfekt von den Kameras eingefangen zu werden.

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Auch die einzelnen Suggestionen schienen fast zu perfekt auf die einzelnen Kandidaten zugeschnitten zu sein – dass zum Beispiel Rolf sowieso den Hang hat, seine Emotionen zu jeder Gelegenheit rauszulassen und Freiwald auch ohne Hypnose keiner Kamera ausweichen kann, ist hinlänglich bekannt. Zugegeben, das ist nicht unbedingt ein Gegenargument für die Echtheit der Show: Schließlich ist man für jene Suggestionen am besten empfänglich, die der eigenen Persönlichkeit am ehesten entsprechen. Nur waren die „Ausführungen“ des Humbugs, die die Promis „in Trance“ vollführten, derart schmerzhaft an der Grenze vom Laienschauspiel, dass man sogar den Darstellern von „Berlin – Tag & Nacht“ einen Oscar verleihen möchte. Joeys Telefonieren mit dem Bauklotz und Rolfs Heulen beim „Fernsehen“ waren dermaßen übertrieben und aufgesetzt, dass es wirklich schwerfiel, mit Ernsthaftigkeit und vor allem Faszination dem Geschehen weiter zu folgen. Oder, wie es ein Zuseher auf Twitter auf den Kopf traf: „Das ist ein so schlechter Fake, dass es fast wieder nach guter Impro-Comedy aussieht.“

Schau mir in die Augen - Promis unter Hypnose

Und, ich sag’s nochmal (und dem mir so lieben Porno-Vergleich noch einmal zu huldigen): Wer switcht so derart schnell einfach so aus Trancezuständen rein und raus?! Dass sich beim “Hypnose-Casting” kein Einziger der 40 (!) Prominenten der Strahlkraft Beckers entziehen konnte, erscheint doch reichlich unwahrscheinlich, wenn auf der anderen Seite doch mehrfach darauf verwiesen wird, dass Hypnose nicht in jeder Situation bei jedem Menschen funktioniert. Und wenn auf Beckers bemüht-seriösen Ausführungen zum Thema Hypnose das nächste Blödel-Spiel mit Fremdscham-Faktor folgt, dann wird das Ganze doch etwas ad absurdum geführt.

Schau mir in die Augen - Promis unter Hypnose

Der Glaubwürdigkeit haben natürlich auch die Kandidaten der Show nicht gerade gut getan: Joey Heindle, Walter Freiwald, Michaela Schaffrath (die in ihrern Pornos eine glaubwürdige Schauspielerin war als gestern Abend) oder Patricia Blanco haben eine derart, nun ja, einschlägige TV-Geschichte hinter sich, dass man ihnen doch relativ viel zutraut, wenn am Ende des Abends eine saftige Gage und bestenfalls noch eine Folgeverwertung in einer anderen Show winkt.

Tiefer und tiefer und tiefer … sinkt das Niveau

Dass Jan Becker tatsächlich auf den Geist von Personen erheblich Einfluss nehmen kann, daran zweifle ich nicht (auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie ich bei seinem Teleshopping-Geplapper tatsächlich eine Reise in mein tiefstes Inneres unternehmen kann), aber dass er sich für solch eine reißerische Samstagabend-Show, die mit der Intelligenz der Zuseher spielt, hergibt, das untergräbt zumindest für mich dann doch erheblich seine Seriosität. Da hat sich sein „Tiefer und Tiefer, immer tiefer und tiefer“ wohl eher auf das Niveau von RTL bezogen als auf einen realen Trancezustand.

Wie auch immer: Für einen Abend war’s ganz gute Unterhaltung – oder eher: harmlose Blödelei, die einmal mehr in typischer RTL-Manier Menschen vorführte und sich an deren peinliches Verhalten labte. Irgendwann aber bin ich eingeschlafen – vielleicht hat all die Hypnose ja dann doch auch bei mir geholfen, das Gehirn hatte ich schließlich vor einigen Stunden bereits ausgeschaltet – vielleicht war ja genau das das Geheimnis des gesamten Abends …

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Fotos: RTL

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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