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Published on Dezember 25th, 2014 | by Manuel Simbürger

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Das Letzte Einhorn: Ist da wer?!

TV Media, die österreichische Branchenfibel schlechthin (die wissen mehr über den ORF Bescheid als der ORF selbst!), fragt in der aktuellen Ausgabe Prominente nach ihren Kindheits-Weihnachts-TV-Erinnerungen. Da fielen viele, viele Filmtitel (allen voran natürlich „Kevin allein zu Haus“…schnarch!), zu meiner Überraschung aber nicht der Titel jenes Zeichentrickfilm-Kults, der mich all die Jahre meiner Kindheit am 24. Dezember begleitete und bei dem ich auch heute noch sentimental werde, wenn ich an jenem Tag aus irgendeinem – wahrscheinlich nicht sehr erfreulichen – Grund über RTL 2 stolpere: „Das Letzte Einhorn“.

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Märchen für Jung und Alt

„Das letzte Einhorn“ (OT: „The Last Unicorn“; mit Stimmen von Jeff Bridges, Christopher Lee, Angela Lansbury, Mia Farrow und Alan Arkin) stammt aus dem Jahre 1982 und basiert auf einem Roman von Peter S. Beagle (der übrigens 2009 mit „Two Hearts“ eine Fortsetzung veröffentlichte). Wie es mit Geschichtenerzählern häufig so ist, lag die Story Beagle so am Herzen, dass er für den amerikanisch-deutschen-britischen-japanischen Zeichentrickfilm auch gleich selbst für das Drehbuch verantwortlich zeichnete. Dialoge wurden beinahe 1:1 aus der Romanvorlage übernommen, die Story jedoch um einige Aspekte gekürzt, schließlich dürfen Kindchen nicht zu lange vor der Flimmerkiste sitzen – obwohl der fertige Streifen immer noch 90 Minuten lang ist. Und eigentlich ist „Das Letzte Einhorn“ streng genommen zwar ein Märchen für Kinder, aber wie es so oft der Fall ist mit Märchen, sind die Erwachsenen vom Ergebnis dann mehr begeistert als die lieben Kleinen.

Für alle, die „Das Letzte Einhorn“ (das es seit 2011 auch auf DVD und sogar Blu-Ray gibt) nicht kennen (shame on you!!!), hier mal, worum’s eigentlich geht, in aller kürzester Zusammenfassung (denn, ganz ehrlich: nix ist langweiliger, als Inhaltszusammenfassungen zu schreiben!): Das letzte Einhorn, eine Stuten-Beauty, wie sie im Buche steht, checkt eines Tages, dass es tatsächlich das letzte Einhorn auf der ganzen Welt ist, und begibt sich auf die Suche nach ihren Artgenossen. Auf ihrer Reise stößt sie auf eine böse Hexe, bekloppt-charmante Räuberbande und vor allem auf einen Magier und eine holde Maid in den besten Jahren, die ihr Herz am rechten Fleck hat. Gemeinsam mit Magier Schmendrick und der Maid Holly findet das Einhorn tatsächlich den sagenumwobenen und gefährlichen Roten Stier, der alle Einhörner gefangen hält. Da wäre aber noch der König Haggard, der nicht wirklich Freude am Leben hat, und sein Sohn Lir, der sich sogleich in das Einhorn verliebt – denn dieses wird in einen Menschen (natürlich eine ebensolche Damen-Beauty, wie sie im Buche steht) verwandelt und weiß bald nicht mehr, wer sie selbst ist ….

Der Verlust unseres Selbst

Kritiker bemängelten schon damals im Erscheinungsjahr die Ästhetik des Films, die Anleihen am japanischen Anime nimmt und zum Teil tatsächlich recht hölzern daher kommt. Auch so manche, für die Story durchaus wichtige, Szene hätte länger ausfallen können und man merkt dem Film an, dass die eigentliche Geschichte noch um viele Facetten reicher ist als jene, die wir hier tatsächlich zu Gesicht bekommen. Und doch sind die 90 Minuten so reichhaltig an Metaphern, einem atemberaubendem Soundtrack, einer zeitlosen Geschichte und einen für einen Zeichentrickfilm überraschende klugen Inhalt, dass „Das Letzte Einhorn“ zurecht auch heute noch nicht nur als Weihnachts-Klassiker (im restlichen Jahr läuft der Streifen irgendwie nie im TV), sondern unter Experten und Fans auch als einer der besten Märchen-Verfilmungen der letzten Jahrzehnte gilt, der es sogar mit Disney-Epen aufnehmen kann (wobei man darüber meines Erachtens nach streiten kann, denn wer, bitte schön, ist cooler als Arielle und Simba?!).

„Das Letzte Einhorn“ kommt überraschend düster daher und ist wohl eher für ältere Kinder gedacht – man denke nur an die furchterregende Szene, in der Mommy Fortuna, die vom Tod besessene Hexe, von ihrer jahrelang gefangen gehaltenen Harpyie regelrecht abgeschlachtet wird – ehrlich, als kleiner Hosenscheißer hab ich damals…naja, mir echt in die Hose geschissen.  Die düstere Atmosphäre aber unterstreicht die furchteinflößende Reise des Einhorns und seinen Freunden perfekt, die im Grunde nichts anderes (und gleichzeitig doch so viel) ist wie die Suche nach sich Selbst und das Entdecken der großen, fremden Welt, in der viele Gefahren auf uns lauern und die uns viele Prüfungen abverlangt, bei denen wir öfter mal riskieren, uns selbst und unseren Weg aus den Augen zu verlieren.

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Wo bist du all die Jahre gewesen?

Das Einhorn präsentiert – nicht untypisch – das Reine, das Unverdorbene, sprich: das Kindliche, in uns. Es ist in der Lage, hinter die Trugbilder der Erwachsenen-Welt zu sehen (man denke an die gefangenen Tiere von Mommy Fortuna), was das Tier zugleich verängstigt, aber auch unglaublich weise macht. Das Einhorn fühlt sich einsam auf der Welt und irrt umher, sucht nach Gleichgesinnten, nach anderen Wesen, die es verstehen. Dabei sieht es sich, sprich: das Kind, plötzlich den Gefahren der Welt ausgesetzt und es fällt immer schwerer, die Bestimmung des eigenen Selbst nicht nur zu finden, sondern auch zu erkennen und an-zuerkennen. Das Einhorn/Kind sieht zwar die Dinge so, wie sie sind, aber keiner ist umgekehrt in der Lage, das wirkliche Ich des Einhorns/Kindes zu sehen (die Menschen, simpel wie sie in ihrer Gedankenwelt nun mal sind, sehen nur ein normales Pferd, wenn sie das Einhorn betrachten). Dabei spielt auch der Verlust von Fantasie der Erwachsenen eine Rolle, symbolisiert abermals durch Mommy Fortuna: Nur durch einen Illusions-Zauber schafft sie es, die alten und gebrechlichen Tiere als fantastische Wesen den Besuchern ihres Wanderzirkus zu verkaufen. Das macht das Einhorn traurig – nicht nur aufgrund des Fantasie-Verlusts, sondern auch, weil die Fantasie in Käfigen gesperrt wird und weil „das Alte und Gebrechliche“ in der Gesellschaft anscheinend nichts mehr zählt und man es deswegen wegsperrt. Das Einhorn als Symbol des Kindlichen bzw. des Verlust der Unschuld wird besonders in der herzzerreißenden Szene – die vielleicht stärkste des gesamten Films – deutlich, als die Räuberbraut Molly, die mit ihrem Älter-Werden und ihrem schlichten Leben zu kämpfen hat, das erste Mal dem Einhorn begegnet: „Wo bist du all die Jahre gewesen?“, schleudert sie dem Tier entgegen und bricht heulend zusammen. Sie macht das Einhorn für den Verlust ihrer Kindheit, ihrer Träume, ihrer Hoffnungen verantwortlich.

Als in der zweiten Hälfte des Films das Einhorn in einen Menschen (mit dem klingenden Namen Amalthea) verwandelt wird, wird das Kind also zu einem Erwachsenen – und muss sich plötzlich mit den schwierigen Fragen der (Erwachsenen-) Welt herumschlagen. Sie vergisst das Ziel, die Bestimmung ihrer Existenz, aber noch schlimmer: sie weiß nicht mehr, wer sie wirklich ist (Entwarnung: auf einen billigen Gedächtnisverlust wird hier Gottseidank verzichtet!), woher sie kommt und wer sie sein will. Amalthea hadert mit sich, wird durch den Verlust der Kontrolle über ihr Leben ausgebremst und verfällt in Depression, Trauer und wird zutiefst verletzlich (Erinnerung: hier geht’s immer noch um einen Kinderfilm!). Erst, als sie wieder zum Einhorn wird, also das Kind in sich entdeckt, ist sie wieder in der Lage, ihre Bestimmung auf dieser Welt aufzunehmen. Aber wie das im Leben nun mal so ist, bringt die Erfüllung seines Lebenstraumes auch Verluste mit sich: Amalthea liebt zwar Prinz Lir, ist aber bereit, ihn zu verlassen, da sie weiß: Eine Beziehung kann nicht funktionieren, wenn diese mit Selbstaufgabe einhergeht. Und auch Lir weiß, dass er Amalthea in Einhorn-Gestalt gehen lassen muss, weil sie nun mal anders ist und man das Anders-Sein nicht unterdrücken darf (ein weiteres Motiv des Films!).

Anders als andere Märchen (Experten würden „Das Letzte Einhorn“ als schwarzes Märchen bezeichnen) hat das Ende einen traurigen Beigeschmack: Das Einhorn kehrt zu seinen Genossen in den Wald zurück, hat aber auch Angst vor diesen Schritt, denn dank seiner Zeit als Mensch weiß es nun, was es heißt, zu lieben und zu verlieren. Es ist das einzige Einhorn auf dieser Welt, das dieses Wissen mit sich herumträgt. Und obwohl es nun nicht mehr das letzte Einhorn auf der Welt ist, ist es im Grunde wieder alleine wie zu Beginn der Geschichte. Das Leben ist eben weit mehr als bloß schwarz und weiß.

Eine Geschichte über die Liebe

Geht’s noch oder kannst Du vor lauter Heulen gar nicht mehr die Zeilen vor Dir erkennen? Egal, weite geht’s:

„Das Letzte Einhorn“ ist auch ein Film über die Liebe in all ihren Facetten – romantisch, kindlich, narzisstisch, besitzergreifend, unerwidert, erfüllend, beängstigend, beflügelnd. Da wäre zum einen die schon erwähnte Lir-Amalthea-Story. Oder aber auch die Szene, in der Magier Schmendrick von einem lusttollen (man könnte auch „notgeilen“ sagen) Baum (!) und dessen Liebe bzw. Drang nach köperlicher Nähe beinahe erdrückt, sprich: vergewaltigt, wird. Das Motiv „Liebe ist Macht“ ist auch in der Figur der Mommy Fortuna zu erkennen, die nur zu einer Liebe fähig ist, die von anderen Besitz ergreift und ihr Macht verleiht – auch wenn sie weiß, dass diese Art von Liebe irgendwann ihr Tod sein wird. Für König Haggard, der einsame alte Mann, der nicht mehr fähig dazu ist, den Sinn im Leben zu sehen, wird die Liebe zur Sucht: nur mit denen von ihm gefangenen Einhörnern kann er die Leere in seinem Leben ausfüllen, fühlt er sich als echter Mann – Liebe wird hier erneut zum Machtmissbrauch. Und da gibt es, zur Abwechslung, noch die ganz und gar unschuldige und zart aufkeimende Liebe zwischen Molly und Schmendrick, die an die erste Sandkasten-Liebe erinnert und die noch weit entfernt ist von etwaigen Zerwürfnissen und der Dunkelheit dieser Welt.

Anker in eine verloren geglaubte Gefühlsebene

„Das Letzte Einhorn“ entführt einen in eine Welt voll von Zauberern, Hexen, sprechenden (und alkoholkranken) Skeletten, philosophischen Schmetterlingen, Räuberbanden, in Flammen stehenden Stieren und natürlich Einhörner. Vor allem aber entführt „Das Letzte Einhorn“ in eine Welt, deren Dialoge voll von lyrischer Tiefe, deren Figuren voll von Leben und Metaphern und deren Farben so Hell und Dunkel wie das Leben selbst sind. Trotz seines inhaltlichen Anspruchs ist der Film keine belehrende Parabel, sondern allen voran eine malerische Landschaft, die zum Träumen und Nachdenken einlädt, ohne die Lehren des Lebens aufdringlich an den Rezipienten zu bringen.

Allen voran aber ist „Das Letzte Einhorn“ ein Märchen für Jung und Alt. Und ein Film, der einem als Erwachsener in manch düsterer Stunde daran erinnert, dass das Leben einmal, vor langer Zeit, voller Einhörner und Magier war, wie folgendes Zitat eines Fans eindrucksvoll unterstreicht:

„Manch einer mag sagen, dieser Film sei kitschig, aber für mich ist er einer der letzten geworfenen Anker in eine Gefühlsebene hinein, die ich ansonsten schon lange verloren habe. Ratio, Zynismus, Depression und Aversion definieren meine heutige Sicht auf die Welt, und jene, die darin leben.  Das war aber nicht immer so. Es gab eine Zeit, in der ich tief in meiner Seele angefasst zu werden vermochte und dies auch zuließ.
Das Letzte Einhorn schafft es auch heute noch.“

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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