Music 2RW_c_Das Kowalski Komitee

Published on September 3rd, 2013 | by Manuel Simbürger

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„Die Wirklichkeit macht mich traurig“

2raumwohnung-Stimme Inga Humpe im Exklusiv-Interview über das neue Album, Einsamkeit, Homophobie und die traurige Wirklichkeit.
2RW_c_Das Kowalski KomiteeDie Berliner Elektropop-Band 2raumwohnung ist schwer fassbar. Die manchmal sperrige Musik ist sicherlich nicht Mainstream und auch auf die (oft sehr intelligenten) Lyriks muss man sich erst einlassen. Inga Humpe (unglaubliche 57 Jahre alt) und Tommi Eckart, die vor mittlerweile 13 Jahren die Band 2raumwohnung gründeten, lassen sich in keine Schublade stecken. Ihre Musik ist der Soundtrack zum  Schminken im Bad, zum nächtlichen Feiern und zum Kindermachen auf dem Rücksitz, zum Rummachen auf dem Klo und zum Sonnenaufgang zwischen Schornsteinen und Plattenbauten.

Richtig passend also, dass Inga im Telefon-Interview mit „This is the (new) shit“ auch schwer zu fassend ist. Sozusagen. Gerade im Auto unterwegs, werden wir immer wieder durch Funklöcher unterbrochen. Inga kommt und geht also, ein bisschen wie 2raumwohnung auch. „Sorry, wir sind hier irgendwo in der Pampa“, entschuldigt sich Inga, nachdem wiedermal die Verbindung weg war. Es klingt ehrlich, genauso wie ihre Texte in den Songs. Worüber sie auch gerne spricht. Nur wenn es zu privat wird, da ist Inga dann eher kurz angebunden. Eben wieder: schwer zu fassen, die Gute.

Ach ja, da war ja noch was. Am 6. 9. veröffentlicht 2raumwohnung ihr neues Album, „ACHTUNG FERTIG“ heißt es. Natürlich ist der Titel ein Aufruf an die Zukunft, aber eigentlich ist die Scheibe (aktuelle Single: „Bei dir bin ich schön“) eine Rückbesinnung auf die musikalischen Wurzeln der Band: Anders als auf den letzten beiden Alben betreiben Inga und Tommi wieder exzessiv elektronische Musik. Keine Akustik. So wie am Anfang ihrer Karriere. Und dass die Hörer in denselben Gefühlsgenuss kommen wie 2raumwohnung, als sie die Songs produziert haben, gibt Inga via Twitter auch gleich eine Gebrauchsanweisung mit dem Album mit: „Bitte mit Bass, ohne hat das echt keinen Sinn…“.  Bei der anstehenden Deutschland-Tour dürfte zumindest das wohl kein Problem sein.

Hey Inga! Wie geht’s?
Inga Humpe: Mir geht’s gut, danke. Keine Ahnung, warum.

Auf „ACHTUNG FERTIG“ macht ihr erneut fast ausschließlich elektronische Musik. Wie kam’s zu der Entscheidung?
Bei unseren letzten Konzerten haben wir viel mit Live-Gitarren und Live-Schlagzeugen gespielt. Wir wollten einfach wieder mal einen anderen Schwerpunkt setzen, damit es nicht langweilig wird. Als wir dann in Kalifornien waren, um das Album zu produzieren, haben wir ganz stark gemerkt, wie deutsche Musik da drüben gesehen wird. Deutsche Musik wird von den Amerikanern vor allem mit Elektronik assoziiert. Da wurden wir dann bestätigt, dass wir den richtigen Weg für diese Scheibe eingeschlagen haben.

Woran liegt das, dass deutsche Musik in den USA mit Elektromusik gleichgesetzt wird?
Kraftwerk waren da natürlich ausschlaggebend. Aber auch Künstler in den 1990ern wie Snap! oder später dann die Berlin-Detroit-Connection haben Eindruck hinterlassen. Das alles ist in den USA noch immer sehr präsent.

Ich dachte eher, dass ihr euch nach 13 Jahren auf eure musikalischen Wurzeln besinnen wollt, um wieder die Atmosphäre der Anfänge in euch aufzunehmen …
Natürlich, auch. Irgendwie. Wir haben ja immer schon auf jedem Album einen anderen Schwerpunkt gesetzt. Das ist auch der Grund, wieso sich 2raumwohnung bis heute gehalten hat. Weil uns die Band eine große musikalische Vielfalt erlaubt. Wir wiederholen uns nie, also wird es auch niemals langweilig.

Kommen wir nochmal auf Kalifornien zu sprechen. Was ist der größte Unterschied zwischen dem Musik-Produzieren in den USA und dem Musik-Produzieren in Deutschland?
Unsere Erfahrung war: Die Leute dort arbeiten wesentlich mehr als bei uns! (lacht) Die Kalifornier, oder zumindest die Künstler dort, richten ihr Leben auf ihre Arbeit aus, weshalb es in diesen Kreisen auch so gut wie kein soziales Leben gibt. Es gibt fast keine Clubs – und wenn, dann sind es illegale Underground-Clubs. Die Künstler, die wir kennenlernten, machten drei bis vier Schreib-Sessions am Tag. Weshalb auch wir sehr viel geschrieben und sehr viel produziert haben, als wir in Kalifornien waren. Wir haben dort wirklich eine Menge fertig gebracht.

Was ist deine Meinung zur Musikszene in Deutschland?
Wenn man selbst in dieser Suppe ist, ist es natürlich schwierig, darüber ein Urteil abzugeben. In Berlin ist die Situation ja sowieso wieder anders als im Rest von Deutschland. Hier herrscht eine große Vielfalt, die Underground-Bewegung entwickelt sich immer weiter und gibt Menschen die Chance, sich selbst zu verwirklichen. Das finde ich sehr klasse. Aber Berlin ist halt nicht Deutschland.

„Berlin ist nicht Deutschland.“ Das ist ja mal eine Aussage.
(lacht laut)

Im Pressetext zu „ACHTUNG FERTIG“ beschreibt ihr das Album als „Suche nach einem druckfreien Raum“. Was meint ihr genau damit?
Wir leben ja alle in einer Leistungsgesellschaft. Jeder versucht, damit klarzukommen. Einigermaßen. Tommi und ich versuchen, diesen Druck möglichst wenig wahrzunehmen. Aber irgendwo sitzt er auch in uns. Musik ist ein Moment, wo man groß und frei werden kann – sowohl beim Musik-Machen als auch beim Musik-Hören. Musik ist der Moment, bei dem man tatsächlich im Moment ist und das Vorher und Nachher vergessen kann.

Aber spürt man nicht gerade als Künstler Druck beim Musik-Machen? Zum Beispiel Erfolgsdruck oder den Druck, möglichst gute Songtexte zu schreiben?
Das stimmt. Das Bild des Künstlers, der gut gelaunt im Studio ein Lied nach dem anderen trällert, ist illusorisch. Das gibt es nicht. Künstler müssen vor allem den Frust aushalten – zum Beispiel, wenn von 20 Ideen 18 nicht gut sind. Da muss man echt drauf achten, dass die Stimmung oben bleibt. Und dann kann Musik auch ein druckfreier Raum werden.

Im Pressetext nennt ihr Schwule und Lesben als einer der Gründe, warum es 2raumwohnung immer noch gibt. Das ist interessant, bedenkt man all die aktuellen Diskussionen rund um die Homo-Ehe und das Homophobie-Gesetz in Russland …
All das sind auch genau jene Gründe, warum wir Schwule und Lesben genannt haben. Als wir von dem Gesetz in Russland (vor Kindern und Jugendlichen darf nicht über Homosexualität positiv gesprochen werden; auch darf keine positive Werbung über Homosexualität gemacht werden; Anm.) gehört haben, wollten wir betonen, dass WIR immer und weiterhin positiv über Homosexualität sprechen und Schwule und Lesben immer unterstützen werden. Das ist doch unfassbar, dass Homosexualität quasi verboten wird! In welcher Welt leben wir denn?! Wenn man beginnt, solche gesellschaftlichen Veränderungen zu akzeptieren, hat man bereits verloren. Da muss man sofort dagegen halten.

Habt Tommi und du viele schwule und lesbische Freunde?
Ja, natürlich! (lacht)

Themenwechsel: Habt ihr im Laufe eurer langen Karriere jemals konkret daran gedacht, das Projekt 2raumwohnung zu beenden?
Nein, diese Momente gab es eigentlich nicht.  (lacht) Interessant, eigentlich. Natürlich dachten wir zwischendurch, was wir anders machen könnten.  Solange die Leute unsere Musik hören möchten, ist das natürlich toll und wir machen weiter. Es ist wunderbar, diesen Beruf ausüben zu dürfen. Darüber sind wir sehr froh. 2raumwohnung ist ja nicht gerade eine typische Band: Wir sind keine 20 mehr, wir machen keine Mainstream-Musik. Deswegen freut es mich umso mehr, dass wir immer noch da sind. Ich muss aber ehrlich sagen, ich vermisse ein paar alte Bands, mit denen wir damals angefangen haben, die heute aber nicht mehr sehr präsent sind. Chicks on Speed oder Miss Kittin zum Beispiel.  Damals waren wir eine viel größere Gruppe.

Fühlt man sich an der Spitze manchmal einsam?
Musikalisch fühlen wir uns nicht einsam. Aber Ender der 1990er, Anfang der Nullerjahre waren wir wie gesagt eine viel größere Gruppe. Eine Art Clique sogar. Nur hört man von all diesen Leuten von damals nichts mehr. Ich weiß nicht, wo die sind.

Ist es eigentlich schwierig, wenn man als Paar auch beruflich sein Leben teilt? Geht man sich da nicht irgendwann auf die Nerven?
Für uns ist es das Gegenteil von schwierig. Dass Tommi und ich ein Paar sind ist der Faktor, der alles einfacher macht. (lacht)

Was macht dich trauriger – unerfüllte Träume, oder Träume, die vor langer Zeit schon in Erfüllung gegangen sind?
Traurig macht mich eigentlich gar kein Traum. (wird nachdenklich, klingt niedergeschlagen) Mich macht die Wirklichkeit traurig.

Wieso das denn?
Mich macht die Wirklichkeit traurig, wenn ich mir unsere Welt ansehe. Wenn ich die vielen Übergriffe an Frauen sehe. Wenn ich die Diskriminierung von Schwulen und Lesben sehe. Das alles ärgert mich und zerstört mich. Wegen all diesen schrecklichen Dingen ist es umso wichtiger, wachsam durch die Welt zu gehen.

Letzte Frage: Mein Blog heißt „This is the (new) shit“. Was ist denn deiner Meinung nach der „new shit“?
Da muss ich Tommi fragen. (fragt in den Hintergrund) Tommi, was ist denn der new shit? Wie? XXYYXX? (ins Telefon) XXYYXX ist der new shit.

Kenne ich nicht.
Ich auch nicht.

2raumwohnung live:
26.10.2013 Frankfurt – Gibson
27.10.2013 München – Muffathalle
30.10.2013 Köln – Gloria
31.10.2013 Berlin – Heimathafen Neukölln
01.11.2013 Hamburg – Mojo Club
02.11.2013 Leipzig – Altes Landratsamt

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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