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Published on Februar 7th, 2016 | by Manuel Simbürger

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Beyonce und der Rassismus

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Beyonce hat gestern einen neuen Song rausgebracht. Ohne Promo, ganz überraschend, ganz einfach so. Das ist an sich nichts Aufregendes, das macht man heutzutage anscheinend so (blöd nur, wenn es keiner mitkriegt, wie bei Miley zum Beispiel).

Also: Beyonce hat einen neuen Song rausgebracht. „Formation“ heißt er. Einmal mehr bleibt sie ihrem Stil der Jenny … ähm, Beyonce-from-the-block treu. Queen-Bey, die über Heiligenscheine singt, hat schon lange abgedankt und seit einiger Zeit der Ghetto-Bey Platz gemacht. Heißt: Streetcredibilitiy wird bei Beyonce auch bei „Formation“ groß geschrieben, eigentlich größer als jemals zuvor, aber dazu später. Ein bisschen – nein, eigentlich sehr viel -, klingt der Song nach einer Mischung aus Rihanna und Jay Z, was nicht wirklich überrascht, weil Jay der Göttergatte und RiRi der Schützling vom Göttergatten ist. Beyonce sappt (eine Mischung aus Singen und Rappen, grad erfunden), was das Zeug hält, hat die Haare schön und haut, untermalt von eingängigen Beats, wieder mal eine ordentliche Choreo raus. Die Songs „Flawless“ und „Yonce“ haben uns bereits mit Ghetto-Bey bekannt gemacht, nur war’s da noch nicht ganz so sperrig. „Formation“ ist schwer zugänglich, kein Song fürs Radio – und soll er auch gar nicht sein. „Formation“ will nicht gefallen. „Formation“ ist ja auch nicht für jeden gedacht. Angeblich.

Denn „Formation“ ist ein Song für die Black Community (und im Speziellen für die Frauen). Heißt es. Das Video ist voll gespickt mit Symbolen und Hinweisen auf die afroamerikanische Geschichte, auf die bis heute anhaltende Diskriminierung. Beyonce im afrikanischen Stil am Dach eines New Orleans Polizeiautos – das am Ende mit ihr gnadenlos versinkt. Ein kleiner schwarzer Junge inmitten einer furchterregenden Polizeiszene und der Bitte „Don’t shoot us!“. Beyonce als Hip Hop-Diva im Hip Hop-BMW. Verweise auf die Sklavenarbeit. Die Schere zwischen Arm und Reich. Und dann diese Lyrics: „I like my Negro nose with Jackson 5 nostrils“ zum Beispiel. Oder „If u fuck me good I take you to Red Lobster.“. Aber auch: “I have hot sauce in my bag.” Na bumm: ““I might just be a black Bill Gates in the making” (Selbstwertprobleme hat die Gute zumindest nicht!) Oder, irgendwie auch zitierungs-wert: „I’m a star cause I slay.“ Die Message ist klar: Beyonce ist stolz auf ihre Herkunft, auf ihre Hautfarbe. Beyonce ist eine „von ihnen“. Eine vom Volk. Dieser Song ist für „ihre“ Community. Ein „schwarzer Song“ mit wirklich allem, was dazu gehört. Das sagt man zumindest. Im Internet.

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Denn am interessantesten an dem Release von „Formation“ ist nicht der Song selbst (den kann man mögen oder auch nicht, etwas dazwischen wird’s nicht geben), sondern die Reaktionen, die er im Netz auslöst. Da wird Bey zum einen gefeiert: Als eine, die sich für die Black Community einsetzt. Die keine Angst davor hat, Stellung zu beziehen. Die einfach sch**** auf Erwartungen und ihr Ding durchzieht. Dem Mainstream den Rücken zukehrt. Ein Problem anspricht – nämlich Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe – , das nach wie vor vor allem in den USA immer noch ein großes Problem darstellt. „Endlich mal ein black artist, der Musik für black people macht!“, meint zum Beispiel ein begeisterter Song-Anhörer. Ein anderer ist von seinen orgiastischen Gefühlen so hin und weg, dass er gar in die Zukunft blicken kann: „Mit diesem Song beginnt das Jahr, in dem schwarze Künstler endlich keine Musik mehr für weiße Leute machen.“

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Dann gibt es aber auch die Fraktion, die sich, ähnlich wie Bey selbst, traut zu sagen, was sie denken: Nämlich, dass der Song bei weitem nicht der Beste ist. Dass sie Queen Bey, die mit dem Heiligenschein, vermissen. Dass sie mehr könnte, die Gute, und so ein Billig-Schlampen-Image mit Sapp-Stil (wieder grad erfunden) gar nicht nötig hätte. Kurz: Dass der neue Song eine richtige, aber so richtige, Enttäuschung sei. Und: Kann Beyonce, immerhin mehrere Millionen Dollar schwer und eine der einflussreichsten Frauen der Welt, überhaupt glaubwürdig über die Probleme der Black Community sappen?!

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Viele dieser Kritiker sind keine Schwarzafrikaner. Sie sind weiß. Und schon entstand innerhalb der ersten Stunden, nachdem das Video veröffentlicht war, eine hitzige Debatte auf YouTube, Facebook und Co über – ja genau: Rassimus. „White People“ könnten diesen Song nicht verstehen, endlich mal seien auch sie ausgeschlossen. Versteht man diesen Song nicht, würde man nur seinem versteckten Rassismus freien Lauf lassen. „White People“ wiederum können in der Debatte nicht ganz verstehen, wieso es denn einen Song über bzw. für „black people“ überhaupt geben müsse – und dass Beyonce mit ihrem Video (und den Lyrics) erst recht wieder so einige Klischees bedienen würde.

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Kurz: Jeder, der diesen Song kritisiert, ist plötzlich Rassist. Und jeder, der den Song mag, ist es irgendwie auch, halt im umgekehrten Sinn. Das ist, ja ich sag’s einfach, natürlich Blödsinn. Man kann die Message eines Songs mögen, aber den Song selbst nicht. Man kann Songs über „die eigene Kultur“ hassen, sich nicht damit identifizieren, ohne seine Wurzeln zu verleugnen – auch einige „black people“ haben ihren Unmut über „Formation“ freien Lauf gelassen. Man kann etwas Negativ über „den Anderen“ sagen, ohne rassistisch zu sein. Und, eigentlich: Gibt es tatsächlich Musik für eine bestimmte Gruppe von Personen? Gibt’s so etwas wie „schwarze Musik“? Oder „schwule Musik“? Sollte Musik nicht einfach Grenzen hinter sich lassen, überschreiten und Personen vereinen? Oder vielleicht doch auf Roots hinweisen, auf eine bestimmte Kultur, und auf diesem Weg gegen die gesellschaftliche Heteronormativität aufmerksam machen? Wie groß ist die politische Dimension von Musik, von Popkultur, tatsächlich?

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Fakt ist: „Formation“ ist eine der schwächsten Stücke Beyonces und kann den ähnlich geratenen Songs „Flawless“ und „Yonce“ nicht das Wasser reichen. Fakt ist aber auch, dass „Transformation“ eine der mutigsten und most unapolegtic Songs der Künstlerin ist, die damit einmal mehr beweist, dass sie Trends vorgibt anstatt ihnen nachzurennen. Dass sie sich über musikalische und gesellschaftliche Konventionen stellt. So schlecht „Transformation“ als Song auch sein mag, so bewundernswerter ist es, dass es Beyonce wie kaum ein anderer Künstler geschafft hat, die Rassismus-Debatte sowie die gesellschaftlichen Möglichkeiten von Popkultur (erneut) anzufachen – denn wie gegenwärtig Fremdenhass immer noch ist, das belegen die aktuellen Debatten auf YouTube und Facebook auf eindrucksvoll-traurige Weise.

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Beyonce ist die einflussreichste Künstlerin der Gegenwart. Beyonce kann die Welt verändern. Wie gut die Musik dabei tatsächlich ist, ist eigentlich nur noch Nebensache.

 

 

Fotos: Screenshots / YouTube

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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