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Published on Februar 28th, 2017 | by Manuel Simbürger

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ESC-Nathan Trent: Gabalier meets Ed Sheeran

Langsam aber sicher fängt sie wieder an: die ESC-Zeit. Spannungsgeladen, kritisch und manchmal auch mit einem zugleich lachenden und weinenden Auge blickt man bereits jetzt, knappe 3 Monate vor dem Event in Kiew, auf die anderen Länder und begutachtet mit Adleraugen und feinstem Gehör, mit welchen musikalischen Ergüssen sie diesmal beim größten musikalischen Musik-Wettbewerb Europas punkten wollen. Da wird unter Kritikern, Fans und ESC-Fanatikern heiß diskutiert, gefachsimpelt und plötzlich, wie es in der Kunst nun mal so ist, ist jeder Musik-Experte. Jeder hat seine eigene Meinung und jeder weiß es immer besser. Jeder weiß, wie der Eurovision Song Contest „wirklich“ funktioniert und was ein Song „haben muss“, um international 12 Punkte abstauben zu können. Über nichts lässt sich schließlich so gut streiten wie über Geschmack – und über Musik.

Es gehört also einiges an Mut, Selbstvertrauen und vielleicht auch ein bisschen an Masochismus dazu, als Künstler Teil des ESC sein zu wollen. In (für?) Österreich tut sich das dieses Jahr Nathan Trent an … ähm, dieses Jahr fällt diese Ehre auf Nathan Trent, wollte ich natürlich sagen. Der 24-Jährige Tiroler ist hierzulande vor allem in Insiderkreisen als Theater- und Musicaldarsteller (u.a. „Footloose“) bekannt, der auf der Bühne mit Charisma, Präsenz und einer tollen Stimme überzeugt. Und fesch ist er auch noch obendrein. Ob das alles beim Song Contest helfen wird? Sein bereits am Montag geleakter Song „Running on Air“, der eigentlich erst heute Dienstag offiziell im ORF und auf Ö3 hätte sein Debüt feiern soll, lässt das zwar bezweifeln – verzweifeln muss man allerdings noch lange nicht.

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Auffallen durch Unauffälligkeit

„Running on Air“ ist eine radiotaugliche Midtempo-Gitarrenballade und erinnert stark an Schmusebarden wie Ed Sheeran, James Cottriall oder James Blunt. Trents Stimme schmust sich ohne Probleme in das Gehör des Publikums, der Song selbst wiederum bleibt jedoch erst nach mehrmaligem Anhören im Gedächtnis – ein großer Nachteil bei einem Wettbewerb, bei dem man nur knappe drei Minuten Zeit hat, ganz Europa von sich zu überzeugen. „Running on Air“ bietet keine Ecken, keine Kanten, er tut nicht weh und hat etwas von einem Soundtrack-Titel eines Feelgood-Summer-Movies. Man wippt mit den Füßen und mit dem Kopf im Takt mit, lächelt auch manchmal, aber große Emotionen vermag der Song nicht auszulösen. Ob er das überhaupt muss, soll jeder für sich selbst entscheiden.

Trotzdem könnte „Running on Air“ beim ESC gar nicht so schlechte Chancen haben – zumindest könnten wir es ins Finale schaffen (wir sind ja, nach Conchitas Höhenflug, demütig geworden und schon froh, nicht mit Null Punkten nach Hause gehen zu müssen). Denn obwohl „Running on Air“ ein Song ist, der nicht sofort auffällt, ist er wohltuend zwischen all dem Glamour, Glitzer, Drama und der Riesen-Inszenierung, die den ESC zum Großteil ausmachen. Es ist nicht zu erwarten, dass Trent einen auf Mans Zelmerlöw macht und einen eher durchschnittlichen Song mit einer fulminanten Bühnenshow aufpeppen wird – das ist erstens nicht Österreichs Stil und würde zudem auch nicht zum Gitarrenpop von Trent passen. Dass süße Jungs, die stolz und mutig allein mit ihrer Gitarre auf der großen Bühne stehen und Einblick in ihr Seelenleben geben, ankommen, hat der Song Contest schon mehrmals bewiesen – und auch, dass gerade ruhige Nummern gerade wegen ihrer Unauffälligkeit und Zurückgenommenheit im großen Tralala-ESC-Zirkus auffallen, hat man unter anderem bei Frans und „If I were sorry“ (der größte Radiohit unter den letztjährigen ESC-Teilnehmern!) und allen voran bei den The Common Linnets und ihrer Understatement-Country-Ballade „Calm after the storm“ im Jahr 2014 gesehen. Mit dem Motto „Auffallen durch Unauffälligkeit“ könnte also auch Nathan Trent punkten.

Was noch für einen „Erfolg“ (wir erinnern uns: Ins Finale kommen ist auch schon ein Erfolg!) Trents spricht: Er wurde abseits der Öffentlichkeit und ohne Publikums-Voting von einer ESC-Jury ausgewählt. Das mag nicht jedem gefallen, hat aber auch schon bei Conchita funktioniert.

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Und ein bisserl Gabalier auch noch

Wem „Running on Air“ übrigens zu angloamerikanisch und zu wenig österreichisch ist: Im vor wenigen Stunden veröffentlichten Video zum Song setzt Trent brav auf idyllische Berglandschaft, verschneite Hügel und Bromance im Jeep. Und wenn er „Running on Air“ singt, stolpert er einmal sogar ganz süß-verspielt im Schnee, wie ein kleiner Welpe, rappelt sich aber tapfer auf und erklimmt doch den Berggipfel. Da will wohl einer dafür sorgen, dass österreichische Klischees nicht in Vergessenheit geraten. Bisserl Gabalier kann ja schließlich nicht schaden. Gut, dass der ESC kein Musikvideo-Wettbewerb ist.

Aber: Nathan, wir stehen hinter dir, trotz Heimatfilm-Video. Und nach Zoe und ihrem Chanson-Gedudel ist „Running on Air“ zumindest kein Abstieg – vielleicht sogar, man erinnere sich: ein Aufstieg zum Berggipfel.

Fotos: (c) Martin Hauser Photography, 2016; YouTube/Screenshot

 

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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