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Published on November 9th, 2015 | by Manuel Simbürger

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Gaga, Justin und Co: Let’s try something new!

Eigentlich heißt’s ja: „Schuster, bleib bei deinen Leisten.“ Stimmt auch oft, nicht nur in der Politik (wenn man zum Beispiel vom Innenministerium in die Kulturabteilung wechselt), sondern auch, wenn SängerInnen plötzlich glauben, ihr schauspielerisches Talent entdecken zu müssen (hat Gaga in „AHS: Hotel“ eigentlich mehr als einen Gesichtsausdruck drauf?!). Man kann schon froh sein, mit einem einzelnen großen Talent gesegnet zu sein – man muss es nicht übertreiben.

Manchmal aber denkt man sich – wenn wir in der Musik bleiben -, dass das Gebotene nicht die beste Seite des jeweiligen Künstlers zeigt. Dass da eigentlich um einiges mehr gehen würde. Das wird einem vor allem dann bewusst, wenn jeweiliger Künstler plötzlich den großen Zee in den großen See eines neuen Genres setzt und drauf pfeift, was am Markt gerade angesagt ist oder eben nicht. Lässt man kalkulierende Zahlen hinter sich, lässt man dafür meistens seinem Talent und seiner Kreativität freien Lauf. Und wir erkennen plötzlich: Wow, der oder die kann ja echt was, da steckt tatsächlich Talent hinter all dem Utz-Utz oder Blärr-Blärr. Oder wir werden wieder daran erinnert, wieso der oder diejenige sich irgendwann mal in unser Herz gesungen hat.

Und weil ich immer dafür bin, neue Seiten an Menschen zu entdecken, hab ich folgend eine kleine Liste zusammengestellt mit KünstlerInnen, die sich in ihrem beheimateten Genre eigentlich weit unter Wert verkaufen und mit einem anderen Stil besser beweisen könnten, was wirklich in ihnen steckt. Vielleicht lesen Justin, Xtina oder Gaga ja diese Zeilen und nehmen sich meine Worte zu Herzen. Falls also plötzlich Aguilera ein Album mit Coverversionen alter Jazz-Hits herausbringt oder Justin den Anzug gegen einen Cowboyhut tauscht, dann ist das auf meinem Mist gewachsen. You’re welcome.

Christina Aguilera

Been there, done that:

New dawn, new day:

Also, um das mal klarzustellen: Queen Xtina rockt alle Genres. Ob Pop, Latin, Country, Rock  oder Retro-Pop : Christina Aguilera ist The Voice of Our Generation. Punkt. Nur im Dance-Segment tut sich die Diva ein bisserl schwer: Christina ist keine Dance-Britney, ihre Stärke liegt in ihrer Stimme und nicht in locker-flockigen Herumhüpfe-Songs, die zudem eine Leichtigkeit des Künstlers erfordern, die einer Aguilera einfach fehlt. Christina Aguilera röhrt (manchmal wie ein liebestoller Elch), wenn sie auf der Bühne steht, sie liebt ihre „Aaaahs“ und „Ooohhs“. Was manche als „obersingen“ bezeichnen, ist eigentlich eine Gesangstechnik, die auch schon  Kult-Damen wie Aretha Franklin, Etta James oder Billie Holiday angewandt haben, die dafür jedoch bewundert wurden. Heute ist man eine so kraftvolle Stimme, die ihre Leidenschaft zur Musik in jeden einzelnen (nicht immer ganz geraden Ton) legt, rausschreit und rausträllert, nicht mehr gewöhnt. Aguilera ist nicht dann am besten, wenn sie ihre eigenen Songs singt und performt, sondern wenn sie sich an Klassikern wie „It’s a man’s, man’s, man’s world“ (im Grammy-Museum verewigt!), “Ain’t no way”, “At last”, “The Prayer“ oder „A Song for you“ versucht. Oder wenn sie mit Tony Bennett das Duett „Steppin Out With My Baby“ mit Herz und Seele singt, als ob sie niemals etwas anderes getan hätte. Die Aguilera ist nicht im Clubsound zuhause, wie sie es seit ein paar Jahren so schmerzlich versucht, sondern eindeutig im Soul und Jazz. Sie ist am atemberaubendsten, wenn sie ihre innere Jazz- und Souldiva einfach von der Leine lässt. Mit „Back to Basics“ ist das schon zum Teil gut gelungen. Man spürt: die Aguilera, die ist eigentlich aus einer anderen Zeit.

Das wär was: Album mit Coverversionen von Aretha Franklin, Etta James, Billie Holiday und Co.

 

Lady Gaga

Been there, done that:

New dawn, new day:

Es war DAS Highlight der diesjährigen Oscar-Verleihung: Pop-Chamäleon Lady Gaga trällert „The hills are alive“ aus dem Kult-Musical „The Sound of Music“. Da steht sie, gehüllt nur in einer schlechten weißen Abendgarderobe, nur begleitet von einem Live-Orchester und gibt die Gesangdarbietung ihres Lebens. Opernhaft, ja engelsgleich ertönt die Stimme jener Sängerin, die uns die letzten Jahre mit verrückten Outfits, pseudo-avantgardistischen Musikvideos und durchschnittlichem Discotrash-Sound den Atem raubte (und das nicht immer nur im positiven Sinn). Plötzlich sah man nicht mehr Lady Gaga, sondern Stefani Joanne Germanotta, die bewies, dass sie zurecht zu den Größten des Musikbiz zählt. Ohne Masken, ohne Chi-chi, ohne dutzend zuckende Tänzer um sie herum. Mit ihrer Performance bei den Oscars bewies Gaga, dass sie das Hollywood’sche Spiel rund um Ruhm und Macht perfekt versteht: Mache mit allerlei verrückten Gimmicks auf dich aufmerksam – und wenn du erstmal an der Spitze bist, lehne dich zurück und mach endlich das, woran dein Herz wirklich hängt und zeige jenes Künstlerherz, das tatsächlich in dir schlägt. Im Falle von Lady Gaga ist das eine mehr als talentierte Singer-Songwriterin, die – ähnlich wie Christina Aguilera – eigentlich der alten Schule angehört, was sie spätestens mit dem Grammy-prämierten Jazz-Album „Cheeks to Cheeks“ (gemeinsam mit Tony Bennett) unter Beweis stellte. Wer hätte gedacht, dass sich hinter dem Artpop-Spektakel eine Old School-Lady versteckt. Eine, die übrigens vor dem großen Ruhm in Night Clubs performt hat. Zurück zu den Wurzeln, das ist nicht immer das Schlechteste.

Das wär was: Ein weiteres Nachtclub-Jazz-Album, aber diesmal ohne Schlaftablette Bennett. Vielleicht gemischt mit einigen Musical-Klassik-Hits a la „The Sound of Music“. Oder ein Acoustic-Album ihrer bisherigen Hits. Denn DAS kann die Gute auch richtig gut.

 

Justin Timberlake

Been there, done that:

New dawn, new day:

Zugegeben: Justin Timberlake macht eigentlich alles richtig. Für sein aktuelles Album „The 20/20 Experience“ hat er sich ein erwachsenes Image zugelegt, Baggy-Pants und Sneakers gegen Anzug und Krawatte getauscht und sich nach siebenjähriger Pause als faszinierender Hybrid aus Michael Jackson und Elvis Presley erfolgreich der Öffentlichkeit präsentiert. Der Großteil der Songs auf dem Doppel-Album lassen sich aber dann doch im gängigen Bereich „Electronic-Pop“ einordnen. „Drink you away“, eine Hymne auf Alkohol (ja, das darf sich halt nur der Justin leisten!), ist da die große Ausnahme: Gemeinsam mit seiner Big Band, den „Memphis Tennessee-Boys“, die nichts anderes sind als Jugendfreunde von Justin, haut er eine waschechte Country-Nummer raus – und hat dabei so viel Spaß wie bei kaum einem anderen Song. Unangestrengt lässig trällert Justin mit seiner unnachahmlichen Stimme und sich selbst an der Gitarre begleitend, über Liebeskummer, den man nicht mal mit Alkohol bekämpfen kann, obwohl man es so gern würde (und auch probiert hat!). Dass sein Herz für Country schlägt, bewies Justin bereits in der Vergangenheit, u.a. während seiner „The 20/20 Experience“-Welttournee: Die Konzert-Highlights waren eindeutig jene Momente, in denen die Bühne in eine intime Whiskey-Cowboy-Bar verwandelt wurde und Justin nicht mehr brauchte als seine Jungs, seine Gitarre und sein Klavier.

Das wär was: Ein waschechtes Country-Album: Nur Justin, seine Jungs und seine Gitarre. Oder Folk, das macht ihm anscheinend auch Spaß. Hauptsache, es scheint irgendwas mit einer Bar zu tun zu haben.

 

Kelly Clarkson

Been there, done that:

New dawn, new day:

Wenn ich ehrlich bin ist mir Kelly Clarkson eigentlich recht egal. Nicht, dass sie mir unsympathisch wäre. Oder ich sie untalentiert finde – gar nicht, das Mädel hat einiges auf dem Kasten und hat verdient die erste „American Idol“-Staffel gewonnen (zu einer Zeit, als es noch von Relevanz war, wer diese Show gewinnt). Aber ihre Songs, ihr Auftreten? Meh. Nichts Besonderes, austauschbar fast, eine Pop-Sängerin unter vielen. Bis man Kelly Clarkson live auf der Bühne hört – und zwar, wenn sie NICHT ihre eigenen Songs singt (abgesehen von „Mr. Know it all“; der Song ist way underrated!). Clarkson etablierte sich in den letzten Jahren als Cover-Queen, zum Beispiel hier. Und hier. Und vor allem hier. Auch im Duett mit anderen besticht sie durch große Sangeskünste, zum Beispiel mit Robbie Williams oder aktuell mit Josh Groban, mit dem sie eine zum Niederknien-schöne Version des Broadway-Klassikers „All I ask“ zum Besten gab. Fast schon eine Gaga-Oscars-Erfahrung. Dass Clarkson dabei auf den Magerwahn Hollywoods pfeift, macht sie noch sympathischer. Vielleicht sollt ich ihr doch noch eine Chance geben.

Das wär was: Egal, was, aber Mädel, bitte kein 08/15-Girlie-Pop mehr (auch wenn du dabei ein bisserl auf rockig machst). Du bist für Höheres berufen!

 

Adam Lambert

Been there, done that:

New dawn, new day:

Adam Lambert ist die derzeit vielleicht interessanteste Figur im Popzirkus. Irgendwo zwischen Freddie Mercury und David Bowie, George Michael und Sam Smith angesiedelt präsentiert er auf seiner aktuellen Scheibe „The Original High“ Electro-Dance-House-Pop vom Feinsten, der Clubs zum Beben und Beine zum Tanzen bringt. Welcher das Blut genug in Wallung geraten lässt, um den Mut aufzubringen, den süßen Typen an der Bar anzusprechen. Welcher einem ein Gefühl der Unbeschwertheit schenkt, wenn er einem bei voller Lautstärke und offenem Fenster beim Autofahren um die Ohren knallt. Das ist schon nett, durchaus. Gleichzeitig ist das Album  erschreckend oberflächlich und bleibt vor allem mutlos: Innovativ ist „The Original High“ nämlich leider nur in versteckten Ansätzen und klingt alles in allem wie etwas, das auch Gaga, Britney oder die Pet Shop Boys abliefern hätten können. Vor allem aber kommt bei all dem House-Ohrwürmern (die das Album durchaus zu bieten hat) Lamberts Stimme nicht zur Geltung, die zu dem Besten der gegenwärtigen Popkultur gehört. Wer den Sänger im Zuge der Queen-Tour live erleben und Zeuge sein durfte, wie Lambert Hits wie „Killer Queen“  oder die Gänsehaut-Ballade „Save me“  nicht einfach nur trällert, sondern sich dabei zum absoluten Superstar erhebt, der sogar Mercury – zumindest gesanglich – in die Schranken weist, der weiß, dass „The Original High“ bei weitem nicht das ans Tageslicht fördert, wozu Adam Lambert, der ehemalige Musical-Darsteller, eigentlich wirklich im Stande ist. Im Stil präsentiert sich Lambert seit einiger Zeit ohnehin schon um einiges männlicher als früher – wieso das nicht mit catchigen Rock-Pop-Songs unterstreichen?

Das wär was: Eine Live-CD der Queen & Adam Lambert – Tour. Und ein paar Rock-Pop-Songs – das hat schon in “Glee” funktioniert.

 

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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