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Published on Dezember 29th, 2016 | by Manuel Simbürger

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R.I.P. Carrie Fisher und alle toten Menschen in Afrika

Als erstes: RIP George Michael. RIP Carrie Fisher. Und RIP alle anderen berühmten Namen, die sich 2016 für immer von uns verabschiedeten. Wir sind traurig darüber. Bud Spencer, David Bowie, Prince, Miriam Pielhau, Umberto Eco, Leonard Cohen uvm: Wir werden euch vermissen.

Als zweites, weil bereits wieder Stimmen in Social Networks laut werden: Ja, es ist mir bewusst, dass es etwas Perverses hat, wenn um einen Schauspieler oder Sänger – einen “Star” -, den man gar nicht persönlich kennt, mehr getrauert wird als um all die Millionen Menschen, die tagtäglich in Afrika an Hunger, Krankheiten oder in Kriegen sterben. Oder um all jene, die bei der Flucht aus ihrem Land ihr Leben lassen mussten – und das, als ihr Herz so voller Hoffnung war, endlich ein neues Leben beginnen zu können. Diese Menschen erregen nicht so viel Aufsehen wie ein George Michael, der „friedlich eingeschlafen ist“ und der – man darf und muss es vielleicht auch sagen – viele, viele Jahre lang mit seinem Körper Schindluder getrieben hat. Und auch, wenn ich es nicht entschuldigen will (der Star-Kult in unserer Gesellschaft ist doch mehr als nur ein bisschen befremdlich, wenn man genau drüber nachdenkt), so ist dieses Verhalten irgendwie, irgendwo doch nachvollziehbar.

Weil man Stars wie eben Prince, Fisher, Michael oder Bowie bereits so oft, für einige Stunden, in sein Wohnzimmer gelassen hat (sei es via der Flimmerscheibe oder der Silberscheibe) und sie so ent-anonymisiert hat. Weil sie wie entfernte Freunde waren, die man glaubte zu kennen, da man sie doch in so vielen (scheinbar) intimen Momenten erlebt hat. Weil man sie sich immer wieder geholt hat, sie reingelassen hat in sein Leben, wenn man über bestimmte Dinge nachdenken wollte – oder im Gegenteil, wenn man eben einmal nicht denken wollte und Zerstreuung suchte. Und das ist vielleicht der größte Grund, wieso uns der Tod von Carrie Fisher & Co. schockiert: Weil wir mit diesen Menschen auf emotionale Abenteuer- und Erinnerungsreisen gingen, ja mehr noch: weil sie uns auf ihre Abenteuerreise einluden und uns mitnahmen. Uns in (in Fishers Fall tatsächliche) fremde Welten entführten. Und wenn diese Person plötzlich tot ist, hat man für kurze Zeit das Gefühl, dass auch diese Abenteuer für uns für immer gestorben sind. Dass die Macht nicht mehr mit uns ist. Dass die Musik nicht mehr mit uns ist.

Wir haben das Gefühl, dass nicht nur die Abenteuer, sondern auch unsere Jugend mit all diesen Persönlichkeiten stirbt: Mit Bowie haben wir gelernt, uns selbst zu finden, George Michael und Carrie Fisher waren unsere ersten großen Lieben und Bud Spencer hat uns unzählige gemütliche Fernsehnachmittage mit unseren Papas beschert – vielleicht eine der wenigen Momente, in denen wir unserem alten Herren nahe waren. Mit dem Tod der Stars nehmen wir nicht nur von ihnen, sondern auch ein bisschen von diesen Erlebnissen Abschied. Uns wird einmal mehr bewusst, dass wir älter werden, dass auch wir – Tag für Tag – dem Tod einen Schritt näherkommen. Und dass vor allem alle um uns herum, unsere Lieben und Vertrauten, auch nicht vor dem Älter-Werden gefeit sind. Oder, universeller ausgedrückt: Auch nicht unsterblich sind.

Das Schicksal bekommt mit den Stars ein Gesicht, das uns bekannt, vertraut und (meistens) sympathisch ist. Vor allem aber sind Todesfälle von Prominenten – seien es Autounfälle, Überdosis oder tödliche Krankheiten – unserer Lebensrealität um einiges näher als der Welthunger, Kriege oder eine mangelnde medizinische Versorgung.  Im Gegensatz zum (beispielsweise) Tod wegen Verhungern kann es auch in unserem Alltag passieren, dass ein lieber Mensch uns von einer Sekunde auf die andere entrissen wird, wenn er ins Auto steigt. Dass er an Brustkrebs erkrankt. Oder dass er an einem Herzinfarkt stirbt. Oder – ganz banal – an Altersschwäche. „So ist das Leben nun mal“, kommentiert meine Mutter vielleicht wenig sensibel, aber eigentlich doch treffend den überraschenden Tod von George Michael. Und denkt in diesem Moment wohl weniger an den Sänger, sondern vielmehr an die Zerbrechlichkeit unseres Lebens, der Vergänglichkeit des Mensch-Seins. Durch Michael, Fischer und Co. hat dieser erschreckende Gedanke erneut ein Gesicht bekommen.

Und, natürlich, das brauchen wir auch nicht schönzureden: Über einen Autounfall, einen Brustkrebs-Tod, eines Selbstmordes oder eines Herzversagens eines weltbekannten Schauspielers bzw. Sängers lässt es sich annehmbarer schockiert sein als über das Massensterben in der Dritten Welt. Gegen ersteres können wir nichts ausrichten, wir können also ohne schlechtes Gewissen trauern. Bei den Menschen in der Dritten Welt, die wir – let’s face it – bewusst verhungern und sterben lassen, lässt sich das Gewissen nicht so einfach wegklicken. Wir können trauern, wissen aber gleichzeitig, dass wir Mitschuld an der Misere sind. Also senken wir lieber den Blick und verschließen bewusst die Augen. Diese Menschen sind für uns anonyme Gesichter, sind anonyme Geschichten. Traurig? Natürlich. Beschämend? Auf jeden Fall. Aber wohl auch ein bisserl die Wahrheit.

Bild: (c) Gage Skidmore (Wikimedia)

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About the Author

Ich bin freiberuflicher Journalist in Österreich (I’m a freelance journalist in Austria) – und wie das bei Journalisten so ist, schreibe ich über alles (naja, fast alles) lieber als über mich selbst. In meinem Fall: Kultur, Pop, Popkultur – und alles, was dazwischen liegt. Weil man Lifestyle, Musik, Film, TV, Gesellschaftskritik, Politik und Gossip nun mal nicht trennen kann. Weil Populärkultur der Spiegel der Gesellschaft ist. Und weil ich als Journalist der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten will. Man könnte auch sagen: Popkultur mit Niveau. Infotainment vom Feinsten.



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